Ausstellungen

Von Dürer bis van Gogh: Meisterwerke im Dialog

Eine Kölner Ausstellung schwelgt in den Verwandtschaften zweier Sammlungen. Von der Gotik bis zum Kubismus begegnen sich Hauptwerke aus der Sammlung Bührle und dem Wallraf-Richartz-Museum. Es ist eine faszinierende Schule des Sehens.

Von Irmgard Berner
12.12.2016

Gewaltiges Wetterleuchten durchzuckt das dunkle Gewölk. Weit hinten am fahlen Horizont, wo sich Windmühlen und mächtig die Grote Kerk, die große Kirche, erheben, sticht ein Blitz ins flache Land. Doch das Unwetter scheint Kühe und Pferd nicht zu stören, ruhig liegen sie vorn im letzten Sonnenstrahl. Es ist das holländische Dordrecht, Heimat des Malers Aelbert Cuyp, der hier die Lichtfäden durch den Himmel jagt. Im Bild daneben herrscht nächtliche Stille, eine Hafenmole erstreckt sich ins schimmernde Meer. Cuyp hat die „Fischerboote im Mondschein“ und das „Gewitter über Dordrecht“ um 1645 im gleichen Format gemalt, als Gegenstücke. So blieben sie auch zusammen, bis man sie 1802 bei einer Auktion trennte. Jetzt sind sie, nach zweihundert Jahren, wieder vereint: das Gewitter aus der Stiftung Sammlung E. G. Bührle und die Fischerboote aus dem Wallraf-Richartz-Museum, wo ein spektakuläres Bildertreffen stattfindet.

Die Ausstellung „Von Dürer bis van Gogh – Sammlung Bührle trifft Wallraf“ hat sich dem vergleichenden Sehen verschrieben. Wir treffen auf Werke von Degas, Cézanne, Gauguin, van Gogh, aber auch auf Preziosen des Mittelalters, des Barock bis hin zur frühen Moderne. Paarbildungen erhellen den Blick auf die Epochen, auf Schaffensperioden von Künstlern – und auf zwei seelenverwandte Kunstsammlungen. Die Kölner Schau stellt hochkarätige Stücke der Zürcher Bührle-Sammlung und Stücke des Wallraf-Richartz-Museums in einfühlsame Dialoge.
Einen Vorgeschmack auf das, was zu sehen ist, bietet zu Beginn Gauguins »Opfer­gabe«. Die stillende Südseemutter aus dem Bührle-Bestand wird flankiert von zwei Madonnen des ausgehenden 15. Jahrhunderts. Es lohnt sich, vor den Mutter-Kind-Stilisierungen aus entfernten Epochen innezuhalten. Denn hier offenbart sich, wo alles entspringt: Kunst kommt aus der Kunst, als ein ewiges Ringen mit Leitbildern und Bildtraditionen.

Altarbilder und Skulpturen des Spätmittelalters kommentieren sich in ihren christlichen Themen gegenseitig: Mutter und Kind, die heilige Sippe, Kreuzigung, Auferstehung. Ein geschnitzter Christus aus der Sammlung Bührle, oberdeutsch, um 1480, hebt tänzelnden Fußes die Hand; war er doch so ausgestattet, dass er am Himmelfahrtstag an einem Seil aus der Kirche ins Gewölbe und durch das Himmelsloch aus der Kirche hinausgezogen werden konnte. „Ein sogenanntes handelndes Bildwerk: großes Kino, wenn die Figur dann den Blicken der Gläubigen entschwand“, schwärmt die Kuratorin Barbara Schaefer. Ihr verdankt sich die Idee zu dieser Ausstellung. „Es war uns bekannt, dass 2015 das Privatmuseum an der Zollikerstraße schließen würde.“ Denn die Sammlung Bührle bekommt 2020 ein neues Zuhause in einem Erweiterungsbau des Zürcher Kunsthauses, nach Plänen des britischen Architekten David Chipperfield. „Da dachten wir, es wäre eine schöne Gelegenheit, dass eine Auswahl an Werken dazwischen einen Abstecher nach Köln unternehmen könnte“, erklärt Schaefer.

Bei der Stiftung Bührle und dessen Direktor Lukas Gloor stieß die Idee sofort auf positive Resonanz. Keine Blütenlese sollte es werden, sondern die Parallelen der beiden Sammlungen darstellen. Die Scharniere sind zahlreich. „Das erklärt sich durch das bürgerliche Selbstverständnis, aus dem beide Konvolute zusammengetragen wurden“, sagt Schaefer. In Köln das Museum, das sich dem Geschmack von städtischen Stiftern verdankt. Und in Zürich die private Kollektion des Industriellen Emil Georg Bührle (1890–1956), dessen Passion und Liebe den französischen Impressionisten galt: „Monets Zauber hat mich nie losgelassen, Cézanne, Degas, Manet, Renoir wollte ich in meinem Umkreis haben“, resümierte er noch kurz vor seinem Tod 1956. Mit mehr als 600 Werken von der Gotik bis zum Kubismus baute er eine der weltweit besten Privatsammlungen auf. 1960 überführten seine Erben rund 200 Gemälde und Skulpturen in eine Stiftung.

Nachvollziehen lässt sich das in einem neutral weißen Dokumentationsraum. Als Waffenfabrikant stieg Bührle zum reichsten (und auch umstrittenen) Schweizer auf. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg hatte er zu sammeln begonnen, den Großteil der Werke erwarb er aber in den Fünfzigerjahren. Da liegt die Schnittstelle zum damaligen Direktor des Wallraf-Richartz-Museums, Leopold Reidemeister (1900–1987). Die beiden kannten sich gut. Reidemeister sollte, als er 1945 in das zerstörte Köln kam, das Museum wiederbeleben. So kaufte er zeitgleich mit Bührle, mit dem er einen engen Austausch pflegte – und im Wettbewerb stand. Briefe und Dokumente belegen das; Zeittafeln zeichnen die Entstehung beider Sammlungen nach. Auch die Provenienzen sind offen behandelt. Denn Raubkunst aus jüdischem Besitz befand sich in beiden Konvoluten, berichtet Schaefer. Es gab eine ganze Reihe von Restitutionen. In einigen Fällen erzielte man mit den Erben der beraubten Besitzer gütliche Einigungen, wodurch die betreffenden Werke auf Dauer und vor allem in rechtmäßiger Weise in Köln oder Zürich verbleiben konnten.

Die Ausstellung berührt das Goldene Zeitalter der Niederlande, wandert über die Venezianer Canaletto und Bellotto bis ins französische 19. Jahrhundert mit Delacroix, Fantin-Latour, um bei den lichttrunkenen Impressionisten und den Pionieren der Moderne zu kulminieren. Viele Paarungen sind eindeutig. Aber Georges Braques „Violin­spieler“, ein Meisterwerk des Kubismus, mit Albrecht Dürers „Pfeifer und Trommler“ in Dialog zu setzen, leuchtet vielleicht nicht sofort ein. Aufschluss gibt, so Schaefer, das Dresdner Skizzenbuch: Dürer zerlegt darin die menschliche Gestalt in geometrische Formen und fügt diese wieder zu Pose und Bewegung zusammen. Braque, der vierhundert Jahre später den Bildgegenstand facettiert, macht im Grunde nichts anderes. Da zeigt die Schule des Sehens ihre Wirkung. Daneben leuchtende Zitronen auf zwei Stillleben: der Holländer Willem Claesz. Heda neben Picasso, erneut küsst ein Werk das andere.

Immer wieder kommt auch zusammen, was länger getrennt war, etwa Degas’ grazil-skizzenhafte Tänzerinnen. Er hatte das Ölbild (Sammlung Bührle) abgepaust und davon das Pastell (Wallraf-Richartz-Museum) geschaffen. Danach überarbeitete er das Ölgemälde noch einmal, um es kreidiger wirken zu lassen. Monet fing indessen das Licht in Vétheuil ein. Sein „Mohnblumenfeld“ ist eines der Bilder, mit denen Bührle zu sammeln begann. Groß war der Schock, als es 2008 mit weiteren Gemälden aus der Villa in Zürich gestohlen, zum Glück bald aber wiedergefunden wurde. Mit der Konsequenz, dass das Haus nur noch eingeschränkt für das Publikum zugänglich war. Und ein weiterer Grund, über einen neuen Museumsbau für die Sammlung nachzudenken.

Noch ein Schlüsselwerk fiel dem Raubüberfall zum Opfer: Cézannes „Knabe mit der roten Weste“. Es konnte 2012 in einer Polizeiaktion aus Belgrad zurückgeholt werden. Den möglichen Verlust mag man sich gar nicht vorstellen, wenn man vor dem melancholischen, in spannungsvollem Blau, Rot, Weiß und feinen Zwischentönen gemalten Jungen steht. Den Kopf hat er auf seine Linke gestützt, der vordere, überlange Arm ruht auf dem Oberschenkel und scheint die Figur zu halten. Cézannes Knabe bildet im letzten Raum ein Paar mit Gauguins „Bretonischem Jungen“ aus Köln. Auch dessen Proportionen scheinen aus den Fugen geraten, die Glieder ungelenk, die Perspektiven der Räumlichkeit aufgehoben. Mit ihren Neuerungen wiesen Cézanne und Gauguin den Weg in die Moderne. Es ist eine von vielen Geschichten, die diese Ausstellung mit ihren inspirierenden Zusammenführungen erzählt.

Service

Ausstellung

„Von Dürer bis van Gogh. Sammlung Bührle trifft Wallraf“, Wallraf-Richartz-Museum, Köln, bis 12. Februar 2017

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