Ausstellungen

Die Lehre aus der Leere

Die von Thomas Demand kuratierte Ausstellung „L’image volée – Das entwendete Bild“ thematisiert den Bilderdiebstahl als Kunstform. Noch bis zum 21. August kann man die Schau in der Mailänder Prada-Stiftung erleben

Von Ingeborg Harms
06.07.2016

„L’image volée“, das entwendete Bild, heißt eine Schau der Mailänder Prada-Stiftung, in der es um Bilderdiebstahl als Kunstform geht. Ob Richard Artschwager telefonisch Anweisungen für einen Teppichklau durchgibt oder Martin Kippenberger ein Gerhard-Richter-Gemälde aus eigenem Besitz in einen Beistelltisch verwandelt, ob Asger Jorn Flohmarktschinken übermalt oder Maurizio Mochetti die Zeichnung eines Namensdoubles für sein eigenes Werk reklamiert, immer liegen mehr oder weniger skandalöse Weisen der Aneignung vor.

Der Künstler Thomas Demand war als Kurator der Ausstellung vor allem an den Ideen interessiert, die von einem Bild zum nächsten führen. Collagen machen den Bildgedanken am deutlichsten sichtbar. John Stezaker schneidet in Filmstills hinein und fügt sie neu zusammen. Sara Cwynar klebt briefmarkengroße Brigitte-Bardot-Fotos nebeneinander und lässt einen projizierten Finger darüberwandern. In seiner disproportionalen Größe mutet er obszön wie ein Penis an. „Bei Collagen kommt das Brutale des Diebstahls wieder zum Vorschein“, sagt Demand: „Man verzweifelt immer mehr daran, etwas Neues zu machen. Auch heute im Internet, das ist eine riesengroße Collage.“

Wer diese Collage vandalisieren will, muss schon etwas mehr Abstand nehmen: Trevor Paglens Unterwasserfotos gehen die Herausforderung ein. Sie zeigen die Tiefseekabel des weltweiten Netzes. Bildtechnisch sind sie der unsichtbare Rahmen unserer Onlineexistenz. In diese sind schon ganz andere eingebrochen und haben unsere Daten abgezapft. Paglen reagiert mit Gegendiebstahl. Er schwächt das Herrschaftswissen, indem er den Tatort sichtbar macht. Doch seine Bilder weisen auch auf einen Diebstahl hin, den wir an uns selbst begehen: Im trüben Wasser liegt die materielle Substanz der digitalen Bilderflut, die uns alltäglich überschwemmt.

Die Idee zu „L’image volée“ kam Demand bei einer von ihm kuratierten Ausstellung in Monaco, für die er René-Magritte-Gemälde aus Privatbesitz ausleihen durfte. Ihn berührte ihre unversehrt gebliebene Verletzlichkeit. Dieses Erstaunen über die Dinghaftigkeit der Kunst wollte er vermitteln. Sophie Calle nutzt gerade deren Abwesenheit. Sie bat Museumsangestellte, gestohlene Bilder aus der Erinnerung zu beschreiben. In den Ergebnissen mischt sich Persönliches mit Kunstverständnis und präziser Beobachtung. Erst die Rekapitulation des Bildes eröffnet den Sehnsuchtsraum, in dem die Chemie der Kunst ihre Wirkung entfaltet. Mit dem Schmerz des Verlusts haben auch 100 zerstörte Porträts Francis Bacons zu tun, die man nach seinem Tod im Atelier entdeckte. War er unzufrieden und wollte die Integrität seines Werkes wahren, oder sind sie Kommentar zu seinem defigurierenden Malstil? An den gerahmten Rändern jedenfalls ist Bacons Strich noch atemberaubend präsent. Das gilt genauso für Adolph Menzels Gemälde „Friedrich der Große auf Reisen“ (1853–1854). GIs trafen in Hitlers Münchner Wohnung darauf und schnitten sich Figuren als Souvenir heraus.

Das Unheimliche des Bilddiebstahls ist auf vielerlei Weise präsent. Etwa wenn Guillaume Paris sich eine Einstellung in Disneys „Pinocchio“ für eine Endlosschleife zunutze macht, in der sich die in einen Bach gefallene Comicfigur immer wieder vergeblich erhebt. Und plötzlich ist die vitalistische Welt des Pop von der Dämonie des antiken Hades unterwandert. Die von Dieter Rams ausgewählten Spionagegeräte des Wende Museum in Los Angeles erzählen eine andere Gruselgeschichte. Ihre heimtückischen Geräusche, Geigerzählertöne, das Rückspulen eines Tonbands und der Doppelklick einer Kamera sind die leise, präzise und kalte Sinfonie systematischer Klammheimlichkeit. „Urmodelle des Smartphones“ nennt Demand diese technischen Schleicher. 

„Thomas Demand: L’image volée“, Fondazione Prada, Mailand, bis 28. August

Dieser Artikel erschien in der WElTKUNST Nr. 116 – Juni 2016

 

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