Auktionen

Die Sammlung Bernd Schultz bei Grisebach

Über fünfzig Jahre hat er gesammelt. Nun hat sich der Mitgründer des Auktionshauses Grisebach für
ein visionäres Projekt von seinen Zeichnungen getrennt: Sie erzielten 6,3 Millionen Euro für das geplante ExilMuseum in Berlin

Von Christiane Meixner
12.10.2018

Als Otto Freundlich Berlin verließ, tat er das erst freiwillig. Nach Paris lockten ihn Braque und Picasso, nach Chartres ein Atelier im Nordturm der Kathedrale, wo er sich ab 1914 der Glasmalerei widmete. Freundlich pendelte zwischen den Ländern, organisierte die erste Kölner Dada-Schau mit, wäre fast Lehrer am Bauhaus geworden und ging 1924 erneut nach Frankreich. Neun Jahre später gab es dann kein Zurück mehr. Die Nationalsozialisten verfemten ihn, in Frankreich wurde er bei Kriegsbeginn als Deutscher interniert. Eine Auswanderung in die USA scheiterte ebenso wie der Versuch, sich zu verstecken: Freundlich wurde als Jude denunziert und von NS-Kollaborateuren verhaftet. Auf dem Weg ins Vernichtungslager Sobibor verliert sich 1943 seine Spur.

Spuren der Vertreibung aufzeigen

Als Bernd Schultz die wunderbare Farbfeldmalerei „Petite Composition“ erwarb, wird er kaum alle biografischen Details ihres Schöpfers im Kopf gehabt haben. Im Nachhinein erweist sich die kleine, um 1937 entstandene Holztafel nun aber als ein Symbol: Denn der Mitgründer und wichtigste Mann im Berliner Auktionshaus Grisebach ver­äußert die Arbeit zugunsten eines Exilmuseums. Schon länger schwebt ihm ein Ort vor, an dem die Vertreibung der kulturellen Elite Deutschlands durch die Nazis gegenwärtig wird. Entstehen soll das Haus in Kreuzberg auf einer Grünfläche hinter der Ruine des Anhalter Bahnhofs. Auch das hat Symbolkraft: Von hier aus starteten Emigranten wie Bertolt Brecht oder Heinrich Mann 1933 in Richtung Wien, Prag oder Paris. Ein Ort der Erinnerung an jene Zeit ist für Schultz derart existenziell, dass er sich zur Finanzierung des Museums von einem Großteil seiner privaten Sammlung trennt.

Ein großes Ziel vor Augen

Ein Konvolut von knapp 400 Handzeichnungen aus fünf Jahrhunderten kam Ende Oktober in der Auktion „Abschied und Neuanfang“ unter den Hammer. Blätter von Rembrandt, Edgar Degas oder Rodin sind darunter. Die zauberhafte Bleistiftzeichnung „La Persane“ (1929) von Henri Matisse, die mit einem Schätzpreis von 200 000 bis 300 000 Euro aufgerufen wird. Nur das Beste, so Schultz, sei Gegenstand der zweitägigen Versteigerung. Und wer denkt, der Abschied täte ihm weh, hat noch nicht begriffen, dass das Exilmuseum nach fünfzig Jahren Sammellust für ihn zum nächsten Lebensprojekt geworden ist. Die Hoffnung, dafür mindestens fünf Millionen Euro zu erlösen, hat sich erfüllt.

Es ist eine Zäsur, denn Schultz hat mit den Arbeiten gelebt. Vieles, das nun zwei Kataloge füllt, hing in seinem Büro in der Fasanenstraße. Die Werke reichen vom späten 15. Jahrhundert über die klassische Moderne bis zu pointierten Blättern der Gegenwart. Ein Aquarell von Leiko Ikemura ist darunter, entstanden als Reaktion der Künstlerin auf die Katastrophe von Fukushima im Jahr 2011. Ein „Hirte“ von Georg Base­litz und gleich drei Zeichnungen des 2013 verstorbenen Melancholikers Norbert Schwontkowski. Ein dritter Katalog widmet sich allein den Zeichnungen von Paul Holz. Das Werk des Autodidakten schätzt Schultz seit der Lehrzeit bei seinem einstigen Mentor, dem Berliner Galeristen Hans Pels-Leusden. Auch Holz, der ab 1925 an der Kunsthochschule Breslau als Autodidakt mit Kollegen wie Hans Scharoun und Oskar Schlemmer lehrte, galt den Nazis als entartet. Der begabte Künstler zog nach Schleswig-Holstein, machte sich in der inneren Emigration möglichst unsichtbar und starb 1938. Sein Werk leidet bis heute darunter, dass es damals aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwand.

Kleine Werke von großen Namen

Ein Schicksal, von dem Künstler wie Max Beckmann, Ernst Wilhelm Nay oder Hermann Max Pechstein zwar verschont wurden. Doch auch wenn sie bald nach 1945 wieder Anerkennung erfuhren, war ihr Leben geprägt von Malverbot, Flucht und Neuanfang. Bernd Schultz hat, so sagt er, auf solche biografischen Aspekte ähnlich wenig geachtet wie auf die Etabliertheit der Namen. Maß aller Ankäufe sei stets sein Geschmack gewesen. Das klingt nach zutiefst subjektiven Entscheidungen, doch schnell erkennt man ein über Jahrzehnte geschultes Auge und die Erfahrung, mit der er Meisterwerke für sich auswählte.

Etwa Oskar Kokoschkas „Selbstbildnis“ von 1920, auf dem sich der österreichische Expressionist prüfend in den Blick nimmt. Mindestens 200 000 Euro sollte es bringen – auf 362 500 Euro kletterte es schließlich inklusive Aufgeld.  Dieselbe Schätzung hatte die berührende Kohlezeichnung „Abschied“ (1910) von Käthe Kollwitz, auf dem ein Paar kräftige Hände einen Kinderkopf umarmen: Sie erzielte mit 437 500 Euro. Insgesamt summierten sich allein die fünf Kollwitz-Zeichnungen auf mehr als 800 000 Euro. Daneben glänzten besonders die französischen Blätter:  Die Skizze „Snobisme ou Chez Larue“ (1897) von Henri de Toulouse-Lautrec kam auf 357 250 Euro, der reitende „Cavalier“ von Edgar Degas innerhalb der Taxe auf 118 750 Euro. 

Eine gewachsene Sammlung

Schultz hat mit Porträts begonnen, hat zarte Frauenbildnisse und Akte bevorzugt, bevor er zur Abstraktion gelangte. Die Zeichnung mit ihrer Liebe zum Detail und Wertschätzung des oft Unterschätzten sagt am Ende auch viel über ihren Sammler.

Service

Auktion

Sammlung Bernd Schultz: „Abschied und Neuanfang“
Grisebach, Berlin
25. und 26. Oktober

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