Auktionen

Altar oder Zyklus?

Zwei Tafeln mit Passionsszenen bei Mehlis lassen Raum für weitere Erkenntnisse

Von Angelika Storm-Rusche
23.08.2017

Die zierlichen Maße des Diptychons, das dem Auktionshaus Mehlis in Plauen aus fürstlichem Vorbesitz zur Versteigerung anvertraut wurde, weisen es zwar als Hausaltärchen für die private Andacht aus. Doch wirft schon die veränderte Chronologie des Passionsgeschehens auf den beiden Flügeln einige Fragen auf: Warum gehen dem „Gebet Jesu im Garten Gethsemane“ seine „Verspottung und Dornenkrönung“ voraus? Waren die Eichentafeln einst Teil eines Passionszyklus? Haben sie die Mitteltafel eines Triptychons gerahmt? Welcher Kunstlandschaft ist das Werk zuzuordnen? Hat die Tafeln ein und derselbe Maler gemalt? Fragen, die die kunsthistorische Forschung beantworten muss. Fest steht, dass es sich um zwei aussagekräftige Bilder der Leidensgeschichte handelt, deren Wirkung durch den goldgefassten, im Rundbogen gekehlten Rahmen noch gesteigert wird. Das Auktionshaus schätzt die Bilder auf moderate 8000 Euro. 

Der gegenwärtige Zustand des Diptychons zwingt den Betrachter, wenn er dem biblischen Passionsbericht folgt, die gleichermaßen narrativ komponierten Tafeln falsch herum zu lesen. Inmitten der rechten erhebt Jesus betend die Hände gegen den Ölberg, auf dem der Kelch, Sinnbild des ihm vorausgesagten Leidens, steht. „Mein Vater, ist’s möglich, so gehe dieser Kelch von mir …“, heißt es bei Matthäus 26, 39. „Und er kam zu seinen Jüngern und fand sie schlafend …“, fährt Matthäus im 40. Vers fort. Petrus, sonst mit vollem Haupt- und Barthaar dargestellt, ruht im Vordergrund an einem Fels. Neben ihm liegt das Schwert, mit dem er Malchus, dem Diener des Hohepriesters, ein Ohr abschlagen wird. Dagegen haben sich Jakobus und Jesu Lieblingsjünger Johannes in den Garten zurückgezogen. An dieser Stelle ist Jens Petzold, dem Gemäldeexperten des Auktionshauses, eine tiefgründige Beobachtung zu verdanken, dass nämlich der morbide Zaun und das geöffnete Gartentor das Gegenteil des ehemals Maria schützenden „Hortus conclusus“, des Paradiesgartens, bedeuten und gleichsam das Böse einlassen.

Das altniederländische Schema war dem Maler vertraut

Offenkundig war dem Maler das Schema altniederländischer, flämisch geprägter Hintergrundslandschaften von Heiligenbildern vertraut, das sich durch genuine Farbabfolge und perspektivische Anlage auszeichnet. Er hat jedoch seine Landschaft weniger in die Bildtiefe gestaffelt als vielmehr – noch etwas unbeholfen – in die Höhe geschichtet, wobei es ihm wohl nicht auf realistische Proportionen von Natur und Mensch ankam.

„Da nahmen die Kriegsknechte … Jesum zu sich in das Richthaus … zogen ihn aus und legten ihm einen Purpurmantel an und flochten eine Dornenkrone und setzten sie auf sein Haupt und ein Rohr in seine rechte Hand und beugten die Knie vor ihm … verspotteten ihn … nahmen das Rohr und schlugen sein Haupt.“ Sozusagen wörtlich hat der Maler diese in einen Innenraum versetzte Passionsszene, Matthäus 27, 27 – 30, in sein Bild übertragen – bis auf ein Detail. Jesus nämlich trägt – abweichend von der gängigen Ikonografie – keinen purpurnen, sondern einen blauen Mantel. Diese seltene Farbwahl fällt auch auf bei einem „Schmerzensmann“ von Colyn de Coter, der zwischen 1480 und 1525 in Brüssel tätig war; und der mit Notnamen benannte Meister der Antwerpener Anbetung hat um 1515 / 20 Jesus fortlaufend in einen blauen Mantel gehüllt. Bei ihm findet sich zudem – trotz aller Vielfalt der überlieferten Ornamente – eben dieser gelb-graue Fliesenboden, der den Blick in die Raumtiefe zieht. Ein Zufall? Mit der – hier freilich etwas zugespitzten – Aneignung der in Italien wiedergewonnenen Perspektive konnte der anonyme Meister damals, an der Schwelle zur Renaissance, daheim noch imponieren. Übrigens sollte man beide Tafeln ihm allein zuschreiben. Dafür sprechen vor allem das von Rot dominierte Kolorit und die Behandlung der Gewandfalten.

In jedem Fall beweist der Künstler die Kenntnis nicht nur zeitgenössischer, sondern auch aus einem geografischen Umfeld stammender Bilder. Man kann ihm also einen Platz in der späten Phase der altniederländischen Malerei einräumen. Dazu passen auch die fratzenhaften Physiognomien (hier der Schergen), wie man sie zuvor schon bei Pieter Bruegel d. Ä. oder etwa gleichzeitig bei Hieronymus Bosch wiederfindet. Jens Petzold lokalisiert den Schöpfer des aktuellen Altärchens mit einiger Vorsicht nach Brügge. Dort wäre er auf das Vermächtnis von Hans Memling gestoßen, der allerdings „eleganter“ gemalt hat. Schon damals aber galten die Entfernungen zu den bedeutenden Kunstzentren – Gent, Brüssel, Antwerpen oder auch s’-Hertogenbosch – keineswegs als unüberwindbar, sodass auch andere als Brügger Einflüsse möglich sind. Denn die Künstler hielten sich stets auf dem Laufenden; ihr wechselseitiger Austausch ist nicht zu unterschätzen.

Religionskritische Propaganda?

Noch einmal muss Mehlis’ Experte zu Wort kommen. Er hat in den beiden hinter der Peinigung Jesu stehenden Figuren den römischen Statthalter Pontius Pilatus und den jüdischen Hohepriester Kaiphas erkannt und Argumente dafür angeführt, dass sie nachträglich hinzugefügt sein könnten; und dann stellt er zur Diskussion, ob dieser Kaiphas nicht die Gestalt des korrupten Albrecht von Brandenburg angenommen hätte. Damit enthielte das Diptychon eine aus der Geschichte zu verstehende religionspolitische Propaganda zugunsten der lutherischen Reformation.

Service

Abbildung

Passionsszenen, Flämisch, um 1500, je 40×30 cm (Abb.: Mehlis, Plauen)

Auktion

Mehlis
Plauen
24. bis 26. August,
das Diptychon wird am 26. August aufgerufen
Besichtigung 18. bis 23. August

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Dieser Artikel erschien in

Kunst und Auktionen Nr. 13/2017

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