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Welt am Abgrund

Reiss & Sohn versteigert ein spätmittelalterliches Heroldskompendium

Von Stefan Weixler
04.05.2017

„Ich beschreibe einen Baum der Trauer“, schrieb der provenzalische Benediktinermönch Honoré Bouvet (ca. 1340 – 1410) in seiner um 1380 entstandenen völkerrechtlichen Abhandlung L’Arbre des batailles, in der er eingangs „die großen Umwälzungen und sehr grimmigen Missetaten“ seiner Zeit zu erklären suchte: Die Kirchenspaltung nach der Doppelpapstwahl von 1378, so diagnostizierte er, habe „Unruhen wie nie zuvor“ hervorgebracht. Es herrsche auch „großer Zwiespalt“ zwischen dem geistlichen und dem weltlichen Stand – überhaupt gäbe es momentan viel „Kummer und Hass“.

In einer reich illuminierten Pergamenthandschrift des ausgehenden 15. Jahrhunderts, die unter anderem Bouvets Text enthält, ist „L’Arbre de douleur“ (Abb.) kongenial visualisiert: Auf der einen Seite des Baums zankt sich die klerikale, auf der anderen die säkulare Welt – am Abgrund zur Hölle. Die zwölf meist halbseitigen Miniaturen, 63 Wappen und zahlreichen zwei- oder vierzeiligen Initialen des Manuskripts, das in Anlehnung an das 1481 entstandene Heroldskompendium des Ludwig von Brügge für Claude de Neuchâtel-Bourgogne (um 1449 – 1505) geschaffen wurde, sind dem „Brügger Meister von 1482“ zugeschrieben – einem echten Spezialisten für profane Illustrationen, der beispielsweise auch die französische Ausgabe des Falknereibuchs Kaiser Friedrichs II. bebilderte. 

Das Antiquariat Reiss & Sohn aus Königstein im Taunus bringt den aus belgischem Privatbesitz eingelieferten Prachtband in seiner Frühjahrsauktion (16. – 18. Mai) bei 300.000 Euro zum Aufruf.

Service

Abbildung

Ludwig von Brügge, „Kompendium“, Handschrift, Pergament, Miniaturen, Brügge, um 1490 (Foto: Reiss und Sohn, Königstein)

Auktion

Reiss & Sohn
16.- 18. Mai

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Der Vorbericht erscheint morgen in

KUNST UND AUKTIONEN Nr. 8/2017

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