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Zwischen Schwarz und Weiß: János Szász und die Fotografie

Das Werk des ungarischen Fotografen János Szász wird wiederentdeckt: Bei Grisebach kommt am 1. Juni eine seiner Aufnahmen zum Aufruf

Von Laura Storfner
31.05.2016

Wollte man für das Leben von János Szász ein Motto finden, so wäre es vielleicht „Immer weitermachen, nie aufgeben“. 1925 im ungarischen Pécs geboren, durfte der studierte Jurist seinen Beruf nach Kriegsende nicht mehr ausüben. Er beschloss, in seiner Heimat zu bleiben und fortan als Schriftsetzer zu arbeiten. Nur seine Leidenschaft, die Fotografie, verfolgte er weiterhin. Solange bis sein Hobby zum Beruf wurde: Im Auftrag seiner Heimatstadt dokumentiert er von 1960 bis 1976 die zeitgenössische und ländliche Architektur der Region. Besonders der Kontrast zwischen Altem und Neuem, Abriss und Aufbau interessierte ihn bei seinen visuellen Studien.

Kontraste bestimmten seine Motive auch stilistisch: Szász‘ Bilder sind geprägt vom Spiel mit Licht und Schatten – seine Schwärze ist nicht einfach nur schwarz, sie kennt alle Töne der Dunkelheit. Um die Effekte zu verstärken, funktionierte er nachts, wenn seine Frau und Kinder schliefen, das Badezimmer zur Dunkelkammer um und experimentierte solange mit Chemikalien und Belichtunszeit, bis er mit den Ergebnissen zufrieden war. Sowohl in seinen Auftragsbildern als auch in seinen freien Aufnahmen erzielte er Abstraktion, ohne die Spuren von Menschen, Dingen und Landschaften vollkommen zu verwischen. Seine Bilder sind verzerrte Realitätssplitter: Mal sieht man tanzende Paare, die sich in dunkle und helle Farbflecken auflösen, nur um in der nächsten Umarmung wieder zueinander zu finden, mal werfen Kinder beim Basektballspiel so lange Schatten als würden Riesen sich den Ball zuspielen. Szász‘ realistische und zugleich illusionistische Annäherung an die Welt verbindet ihn mit seinen ungarischen Kollegen: Mit André Kertész teilt er den Blick für die Flüchtigkeit des Alltags, mit László Moholy-Nagy die Vorliebe für das grafische und stilistische Formexperiment.

In den frühen Achtzigerjahren verlor Szász nach und nach seine Sehkraft, das Fotografieren aufgeben wollte er trotzdem nicht. Er unterrichtete, organisierte Ausstellungen und Kurse, leitete Fotoklubs und publizierte regelmäßig in Fachzeitschriften. Vom Verband der Ungarischen Fotografen wurde er mit dem Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet, sein Album für volkstümliche Architektur erhielt 1976 in Ungarn den Titel „Schönstes Buch des Jahres“.

Erst nach seinem Tod 2005 wurde sein Werk erneut entdeckt: Als Balázs Szász, sein Enkel, den Dachboden ausmistet, stößt er auf mehr als 3000 Fotografien. Seither betreut er den Nachlass seines Großvaters, organisiert Ausstellungen in Galerien und Museen. Bei Grisebach wird nun, am 1. Juni, eines der Bilder vom Dachboden versteigert: Es zeigt ein Schaf, das verloren hinter einem Gatter steht. Sein weißer Kopf hebt sich scharf vom Dunkel des Bildhintergrunds ab, in dem Holz und Steinwand ineinander übergehen (Taxe 1500). Balázs Szász interpretiert das Bild als Metapher: „Mein Großvater gab dem Foto verschiedene Titel: Neben »Allein« bezeichnete er es auch mit »Ausblick« und »Perspektive«. Diese Mehrfach-Titel spiegeln sein damaliges Lebensgefühl: Wie das Schaf, das eingeengt wirkt, fühlte sich auch mein Großvater eingeengt vom Regime. Wie das Schaf, ließ auch er sich dennoch nicht davon abbringen, den Blick auf die Zukunft zu richten.“

Auktion Grisebach, Berlin, 1. Juni

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