Marie-Antoinette

Erst gehasst, dann geliebt

Die tragische Lebensgeschichte von Marie-Antoinette und ihre Wiedergeburt als Popfigur zeigt eine große Schau im Londoner Victoria and Albert Museum

Von Alexandra Wach
24.10.2025
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 248

Nein, ihren berüchtigten Satz über die Armen – „Wenn sie kein Brot haben, dann sollen sie doch Kuchen essen“ – hat sie tatsächlich nie gesagt. Ihr Reichtum beschleunigte Marie-Antoinettes Untergang aber durchaus. Dabei begann ihr Aufstieg eher als Jugenddrama: „Alle Augen werden auf dich gerichtet sein“, schrieb ihr ihre Mutter Maria Theresia, Kaiserin von Österreich, in einem Brief an dem Tag, als sie nach Frankreich in einer Kutsche unterwegs war. Sie behielt recht. Die misstrauischen Blicke, die die 14-Jährige nach der Hochzeit mit dem zukünftigen französischen König Ludwig XVI. begleiteten, waren nur der Vorgeschmack für die beispiellose Ablehnung, die noch folgen sollte. Als Teenager gebunden an einen Ehemann, der sich mehr für die Jagd als für sie interessierte und sieben Jahre lang ihrem Bett fernblieb, suchte die nun Marie-Antoinette genannte Königin Zerstreuung in extravaganten Partys, Glücksspiel und Mode.

Vor ihrer Regentschaft war Selbstinszenierung die Domäne der Mätressen des Königs. Die Königinnen mussten unauffällig im Hintergrund bleiben. Marie-Antoinette änderte das, ein Statement weiblicher Macht. Sie umgab sich mit Stühlen in Pistaziengrün, versah den kleinsten Parfümflacon mit ihrem Monogramm „MA“ und engagierte die besten Schneiderinnen, wie Rose Bertin etwa, die von der Presse als „Modeministerin“ bezeichnet wurde. Gemeinsam schufen sie den Trend zu Pastellfarben und den „Poufs“, spektakulären Aufbauten auf den Haaren mit Blumen, Früchten und Federn, die ein bestimmtes Thema darstellten.

Zweieinhalb Jahrhunderte später ist die umstrittene Rokoko-Königin in der Popkultur immer noch präsent – und steht als Symbolfigur für überbordenden Luxus: So verkaufte Sotheby’s 2018 einen Anhänger mit Diamanten und Perlen aus ihrer Sammlung für 36 Millionen Dollar, das 18-Fache des Schätzpreises. Vergleichbaren Glamour verspricht nun im Londoner Victoria and Albert Museum die opulente Ausstellung „Marie Antoinette Style“, die gleich am Eingang die Fantasie mit einem Spiegelsaal und einer ausgelassen Audiountermalung beflügelt. Das in rosa Tönen gehaltene Entree gibt Einblicke in die prachtvolle Garderobe einer feingliedrigen Majestät – von Kleidern mit riesigen Reifröcken, über schleifenbesetzte Schuhe bis zu ornamentalen Haaren und einer beeindruckenden Sammlung von Fächern, jeder einzelne ein Kunstwerk mit Göttern oder einer amüsanten Szene, in der ein Friseur auf einer Leiter steht, um an der hochgestapelten Frisur einer Frau zu arbeiten.

Zu den ausgewählten 250 Exponaten gehören Seidenpantoffeln, ein Klavier und der letzte Brief, den Marie-Antoinette im Alter von 37 Jahren aus dem Conciergerie-Gefängnis schrieb. In den Porträts von Élisabeth Vigée Le Brun lächelt die von den sozialen Realitäten abgeschirmte Königin noch gelassen. Die Malerin zeigt eine feminine Welt vor dem Einbruch misogyner Tiraden der revolutionären Presse. Die junge Königin posiert für sie mit kolossalen Hüten zur Feier der Entdeckung der Pockenimpfung oder im Garten mit Rüschenkleid und einer Rose in der Hand.

Die junge Königin, gemalt mit einer Rose im Jahr 1783 von Élisabeth Vigée Le Brun.
Die junge Königin, gemalt mit einer Rose im Jahr 1783 von Élisabeth Vigée Le Brun. © Christophe Fouin/Château de Versailles, Dist. Grand Palais RMN; Victoria and Albert Museum, London; Manolo Blahnik

Die Londoner Hommage konzentriert sich auf die modischen Aspekte und den enormen Einfluss auf das Design der Gegenwart bei Vivienne Westwood, Dior oder Karl Lagerfeld, kratzt aber auch an den Mythen, die um die Trendsetterin kreisten. Etwa die „Diamantkettenaffäre“, bei der eine Halskette mit mehr als 600 Diamanten fälschlicherweise in ihrem Namen bestellt wurde. Der Ruf einer Verschwenderin blieb trotz Rehabilitierung vor Gericht an ihr hängen. Eine Replik sowie die Sutherland-Halskette, die angeblich Steine des Originals enthält, lassen sich in der Ausstellung bestaunen.

Obwohl Marie-Antoinette weniger ausgab als die Brüder des Königs, wurde sie als Ausländerin zum Sündenbock. Als sich die Finanzkrise in den 1780er-Jahren verschärfte, erhielt sie gar den Spitznamen „Madame Déficit“. „Es sind die Ausgaben für Kriege, die Frankreich in den Bankrott getrieben haben“, sagt Kuratorin Sarah Grant. „Das Garderobenbudget von Marie-Antoinette entspricht heute etwa 1 Million Dollar, aber Frankreich gab allein für den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg Gelder aus, die heute einem Wert von 11,25 Milliarden Dollar gleichkämen.“

Selbst als sie auf die Vorwürfe reagierte und aufhörte, Seide zu tragen, beruhigte das nicht die Gemüter. „Die Seidenindustrie geriet in Aufruhr, weil ihre Existenzgrundlage bedroht war“, sagt Grant. Auch der Wechsel des Images ging schief, als sich die Königin in ihrem Modellbauernhof in „ländlicher“ Baumwollkleidung porträtieren ließ. „Das hing mit ihrer Rolle als Mutter zusammen“, sagt Grant. „Mit dem Rückzug ins Petit Trianon wollte sie sich freier bewegen.“ Man erwartete von ihr aber ein königliches Spektakel, nicht Kostümierungen als Schäferin, die der Autorität der Monarchie schadeten.

Was mit Empörung begann, endete im Verlauf der Französischen Revolution mit Flugblättern, die ihr Promiskuität, lesbische Beziehungen und sogar Inzest vorwarfen. Aber selbst die Kritik am Ancien Régime drückte sich in dieser auf Außenwirkung bedachten Ära in der Mode aus: Entwürfe für Revolutionskleidung zeigen patriotische Kostüme, darunter ein römisch-republikanisches Outfit. In einer Darstellung des Föderationsfestes von 1790 sieht man die königliche Familie in einer an die neuen Gepflogenheiten angepassten Kleidung.

Genutzt hat es nichts. Den Weg vom Luxusparadies zum Schafott drei Jahre später macht ein abgedunkelter Raum nachvollziehbar, in dem ein schlichtes weißes Gefängnishemd und ein erhaltenes Teil einer echten Guillotine aus der Revolution, mit verrottetem schwarzem Holz und der noch brauchbaren Klinge, für Schaudern sorgen. Ein Druck zeigt den Henker, wie er Marie-Antoinettes Kopf für die Menge hochhält.

Nach diesem harten Schnitt folgt ein langer Parcours, der sich ihrer Rezeption widmet, von adligen Nachahmerinnen ihres Stils bis zu einem Vogue-Foto von Kate Moss im blauen Kleid von Alexander McQueen und Requisiten aus dem Film „Marie Antoinette“ von Sofia Coppola. Es herrscht die Stimmung eines Catwalks, die Designerkleider reichen glatt über zwei Etagen. Ein Kontrast zum Rest der Schau um eine privilegierte Frau, die in den Sturm der Geschichte geriet und aus ihrer Todeszelle die verzweifelte Nachricht verschickte: „Mein Gott! Hab Mitleid mit mir!“

Ausstellung

„Marie Antoinette Style“

Victoria and Albert Museum

London

bis 22. März 2026

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