Christie’s versteigert in London Grafiken aus der renommierten Kunstsammlung des Hamburger Unternehmers Klaus Hegewisch
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09.10.2025
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 246
Was Pablo Picasso in seinem Kupferstich „Minotauromachie“ versinnbildlicht, hätte er in keinem Gemälde in dieser Komplexität und in diesen Schattierungen von Düsternis und Erleuchtung ausdrücken können. Die Radierung von 1935, die des Künstlers Misere um seine eifersüchtige Gattin Olga, seine schwangere Geliebte Marie-Thérèse und seine Kreativitätskrise reflektiert, gilt heute als eine der bedeutendsten Grafiken des 20. Jahrhunderts. Sie ist eines der Toplose in der Versteigerung der Sammlung Hegewisch bei Christie’s am 16. Oktober in London. „Minotauromachie“ wurde nie als Edition in einer Galerie angeboten. Picasso hatte die Abzüge handverlesen an Freunde und Gönner weitergereicht.
Klaus Hegewisch erwarb sein Blatt bei dem Kunsthändler Jan Krugier aus dem ihm anvertrauten Nachlass Marina Picassos. In London geht man im Herbst mit einer Schätzung von 700.000 bis 1 Million Pfund an den Start. Für Tim Schmelcher, Grafikspezialist bei Christie’s, sind die 55 Lose der Auktion ein Spitzenereignis auf seinem Gebiet. Das Highlight – Picassos Radierung „Le repas frugal“, ein Schlüsselwerk des damals 25-Jährigen – gibt es in einer anderen Version relativ häufig auf dem Markt. Bei dem nun angebotenen Blatt handelt es sich jedoch um einen der seltenen Abzüge, die 1904 noch vor der Plattenüberarbeitung für jene Version entstand, die durch den Galeristen Ambroise Vollard vertrieben wurde. Auch diese frühe, unverstellte Arbeit, die motivisch und stilistisch der Blauen Periode angehört, verteilte der Künstler persönlich. Christie’s rechnet mit 1,5 bis 2,5 Millionen Pfund, nachdem es vor zwei Jahren einen Abzug aus dem Nachlass des Sammlers und Händlers Heinz Berggruen für 6 Millionen Dollar verkaufte.
Der Hamburger Sammler Klaus Hegewisch, der sein Vermögen mit dem Import von Südfrüchten machte, erkannte nicht nur bei Picasso die Tiefe und Ausdruckskraft der Grafik. Ihn interessierten Künstler aller Epochen, die besonders die dunkle Seite, das Unheimliche und Unerklärliche, umsetzten. So wie Edvard Munch, von dem neben der Lithografie „Das kranke Kind“ (1895) und dem Holzschnitt „Melancholie III“ (1902) auch ein brillanter Abzug der 1895 entstandenen Lithografie „Madonna“ zur unteren Taxe von 70.000 Pfund zum Aufruf kommt.
Auf Hegewischs exzellente Kollektion, die in seiner Wohnung die Wände bedeckte, war in den Achtzigerjahren auch die Hamburger Kunsthalle aufmerksam geworden. Trennen wollte sich der Sammler nie von ihr. 1997 eröffnete die Kunsthalle jedoch das Hegewisch-Kabinett und präsentierte die Kollektion in thematischen Ausstellungen. Damals gezeigt wurde auch Picassos „Nezquart de Brie“, eine Skizze zum 1907 entstandenen bahnbrechenden Gemälde „Les Demoiselles d’Avignon“. Erstbesitzerin des Blatts war die Schriftstellerin Gertrude Stein. Die expressiv-kubistische Bleistiftzeichnung ist auf mindestens 500.000 Pfund taxiert. Die Beziehung zwischen Zeichnung und Grafik war ein Thema für den 2014 verstorbenen Hegewisch. Zeichnungen von Adolph von Menzel und Giovanni Battista Tiepolo oder Max Beckmanns hingetuschtes „Selbstporträt in Krankenpflegeruniform“ (1915) reizten ihn ebenso wie Fernand Légers mit einer breiten Palette an Hell-dunkel-Valeurs schraffiertes Blatt „Der Raucher“ (um 1921), für das nun ein Zuschlagspreis von mindestens 180.000 Pfund erwartet wird. Aus dem Konvolut von 350 Positionen wird es nach der Oktober-Auktion laut Tim Schmelcher Anfang nächsten Jahres eine weitere Sonderversteigerung geben.
„Spellbound. The Hegewisch Collection“,
Christie’s, London,
16. Oktober 2025