Steve McQueen in Basel

Alles schwankt

Ein Besuch von Steve McQueens „Bass“ im Basler Schaulager wird zum Trip: Das Erlebnis von Farben und Sound endet im schutzlosen Schwindel

Von Ulrich Clewing
26.08.2025
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 245

Von der Station Bankverein braucht die Tram gut zehn Minuten bis zum Schaulager – und auf den letzten Metern sieht man, wie man auf sich selber zugeht: Die Fassade des Ausstellungshauses der Laurenz-Stiftung ist verspiegelt. Dass dieses Auf-sich-Zugehen in den nächsten Stunden eine metaphorische Kraft entfalten wird, ahnt man zu dem Zeitpunkt noch nicht. Dann tritt man ein und steht ziemlich unvermittelt vor einer gigantischen Wand aus farbigem Licht. Sie scheint in den Himmel zu wachsen, das Schaulager, gebaut von Herzog & de Meuron, ist fast dreißig Meter hoch.

„Bass“ heißt die Installation. Erdacht hat sie der britische Künstler und Filmemacher Steve McQueen – und sie ist eine Sensation, im übertragenen wie im wörtlichen Sinn. Wäre „Bass“ nur beeindruckend oder überwältigend, würde sie einem nicht so unter die Haut gehen. Doch genau das tut sie. Irgendwann in dem Prozess, der nun einsetzt, wird man nackt sein, schutzlos seinen Eindrücken ausgeliefert. Wer das nicht bemerkt, ist zu früh wieder gegangen und hat der Installation nicht genug Zeit gegeben.

„Bass“ besteht aus über tausend schmalen, länglichen LED-Leuchten. Sie wurden an den Stellen befestigt, an denen im Schaulager bei Normalbetrieb die Neonröhren hängen. Für Stammgäste des Hauses hat sich also erst mal nicht viel verändert – bis auf den Umstand, dass alles anders ist. Sonst ist das Schaulager bei Ausstellungen durch Stellwände unterteilt, jetzt besteht die seltene Gelegenheit, die riesigen Räume leer zu erleben. Aber was heißt das schon: leer? Die LED-Leuchten durchlaufen synchron das Spektrum der für das menschliche Auge wahrnehmbaren Farben, von Violett über ein leuchtendes kaltes Blau, Hellblau, Türkis und Grün bis Gelb, Orange und einem grellen Feuerrot. Die Übergänge von einem Farbton zum nächsten vollziehen sich so langsam, als seien sie Teil einer Binnenatmosphäre auf einem fremden Stern. Isabel Friedli, eine der Kuratorinnen der Ausstellung und zuständig für die begleitende Publikation, verglich diesen Wechsel der Farbvaleurs mit der Geschwindigkeit eines Sonnenuntergangs – und damit hat sie vollkommen recht. Eine knappe halbe Stunde dauert ein Zyklus, das ist für Menschen mit Aufmerksamkeitsspannen von Sekunden eine kleine Ewigkeit.

Der Clou von „Bass“ aber ist der Sound, der neben dem farbigen Licht das zweite fundamental wichtige Standbein der Installation markiert. Steve McQueen hat die Arbeit lange vorbereitet, sich Rat geholt bei Koryphäen der Kunstszene wie dem Mega-Kurator Okwui Enwezor, den er vor dessen Tod 2019 am Krankenbett besuchte. Gesprochen hat er auch mit dem Bassisten Marcus Miller, den Jazzfans als Bandmitglied des späten Miles Davis kennen. Miller, heute 66 und seit Jahrzehnten eine prägende Größe der zeitgenössischen Musik, bestärkte McQueen darin, die Klanglandschaft mit vier weiteren Musikerinnen und Musikern als freie Improvisation aufzunehmen. Der Künstler vertraute auf die Erfahrung – und was Miller, Meshell Ndegeocello, Aston Barrett Jr., Mamadou Kouyaté und die erst 18-Jährige Laura-Simone Martin dann fast drei Stunden lang ablieferten, ist einfach grandios: Der Sound ist der Höhepunkt und eigentliche Star von „Bass“. Und er ist der Namensgeber der Installation.

Steve McQueen setzt sich seit Langem mit der Geschichte der amerikanischen People of Color auseinander. Für seinen Kinofilm „12 Years a Slave“, eine Adaptation des 1853 erschienenen autobiografischen Romans des Geigers Solomon Northup, der durch kriminelle Machenschaften für zwölf Jahre in die Sklaverei geriet, erhielt McQueen 2012 drei Oscars. Auch „Bass“ spielt auf die Black History an, vor allem auf die Überfahrt der Gefangenen von Afrika nach Amerika. In der englischsprachigen Geschichtsschreibung wird die unfreiwillige Atlantiküberquerung die Middle Passage genannt. Für den Begriff existiert keine deutsche Übersetzung, aber es gibt universelle Symbole. Eines davon ist das Bassinstrument, das in seiner Urform, dem schlanken viersaitigen Ngoni, aus Westafrika stammt. (In der Session für „Bass“ benutzte der in Mali geborene Mamadou Kouyaté ein Ngoni.)

Die Klangqualität im Schaulager ist beeindruckend. Man hört jede gezupfte Saite, manchmal vernimmt man nur einen einzelnen Ton, manchmal eine kurze Melodie, die sich wiederholt. Der Beat ist treibend, minimal und suggestiv. An manchen Stellen steigert er sich zu einem bedrohlichen Grollen, das die Wände im ganzen Haus erzittern lässt. Das Schaulager wird zum Resonanzkörper, dann schlägt und klatscht der Sound wie Regentropfen. Innere Bilder steigen auf, sie vermischen sich mit den äußeren: Nachdem man die Farbsequenzen zwei-, dreimal beobachtet hat, wirken sie wie der Ablauf eines Tages. Und noch eines Tages. Und noch eines Tages. Das alles ist sehr evokativ, die Installation wirkt nicht mehr immateriell, sondern haptisch, zum Greifen konkret. Mit der Zeit stellen sich psychedelische Effekte ein, man fängt an, doppelt zu sehen. Bei rotem Licht sind die schwarzen Flächen der Lautsprecher oder in der Kleidung des Publikums wie bei einem Komplementärkontrast grün. Das Gleiche gilt für eine Phase im Blauton – plötzlich leuchten alle weißen Teile unnatürlich hell auf wie unter Schwarzlicht.

Steve McQueens Werk „Bass“ im Basler Schaulager spielt auf die berüchtigte „Middle Passage“ der Sklavenschiffe an.
Steve McQueens Werk „Bass“ im Basler Schaulager spielt auf die berüchtigte „Middle Passage“ der Sklavenschiffe an. © Schaulager Münchenstein/Basel (Installationsansicht), Foto: Pati Grabowicz/Steve McQueen

Es entsteht die Illusion, selbst auf einer Reise zu sein. Sie führt ins Ungewisse. Ein Trip hoch zwei: Der Boden beginnt zu schwanken, die Schritte werden unsicher. Rot wird zu Blutrot, es stellen sich mögliche Narrative ein, der Raum um einen füllt sich mit Geschichten, Imaginationen: Wochen, die vergehen, Leben, die sich verändern. Als Mensch ohne ein Verständnis für Migration ist es unmöglich, das Trauma zu spüren, das gewaltsame Entführung, vollständige Entrechtung, Willkür und Unterdrückung während der Middle Passage heute noch auslösen können. Aber was man immer deutlicher merkt, je länger man sich hier aufhält, ist das Gefühl von langsam anschwellendem Schwindel und Entwurzelung.

Seine Premiere erlebte „Bass“ vor knapp einem Jahr im Dia Beacon im Bundesstaat New York. Isabel Friedli, die die Installation damals erlebte, war wie viele Anwesende tief beeindruckt. Das Gebäude war damals ganz anders – eine lange, große Halle ohne Fenster, von zahllosen Pfeilern strukturiert. Die Baseler Kuratorinnen hatten Sorge, diese Wucht nicht auf das Schaulager übertragen zu können. Die Zweifel erweisen sich als unbegründet. Diese Version von „Bass“ ist ein eigenständiges Werk. Und man kann sich nicht vorstellen, dass es hätte besser werden können als das, was nach fast drei Stunden hinter einem liegt. 

Service

AUSSTELLUNG

„Steve McQueen, Bass“,

Schaulager, Basel,

verlängert bis 14. Dezember 2025

schaulager.org

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