Lilo Klinkenberg

Asphaltblüten

Lange spielte Collectible Design in der Kunstszene nur eine Nebenrolle, doch das ändert sich gerade gründlich. Was in Berlin entsteht, ist aufregend und zukunftsweisend. Wir stellen Designerinnen und Designer vor, die die Freiheit der Formen feiern. Folge 4: Lilo Klinkenberg

Von Simone Sondermann
20.08.2025
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 240

Wer nahe herantritt, kann es nicht nur sehen, sondern auch riechen. Es riecht ein wenig modrig, aber durchaus angenehm. Das Material, mit dem Lilo Klinkenberg arbeitet, lebt. Oder es ist zumindest durch und durch organisch. Das Moos zum Beispiel, aus dem sie die meisten ihrer Skulpturen fertigt. Im Schaufenster ihres Studios in Berlin-Kreuzberg stehen ein paar kleinere Ausführungen, abstrakte Gebilde mit unruhiger Oberfläche, überzogen mit schwarzer, blauer oder silberner Farbe. Nur eines wirkt entfernt noch so, als käme es aus einem Garten, ein verrücktes Stück Hecke, als hätte Henry Moore sich am
Buchsbaumbeschnitt versucht. Fasst man es mit Erlaubnis der Künstlerin an, spürt man, wie merkwürdig steif das Pflanzengewebe ist. Es wurde mit Wachs übergossen.

Arbeiten von Lilo Klinkenberg
Kaum mehr als Flora erkennbar: Skulpturen aus Moos. © Foto: Nils Stelte

Schon während ihres Modedesignstudium an der Berliner Universität der Künste hatte Klinkenberg das Gefühl, dass ihr die Dimensionen des menschlichen Körpers gestalterisch nicht reichen. Zur Arbeit mit Pflanzen kam sie über den Umweg des Restaurants, das sie mit ihren beiden Geschwistern in Kreuzberg eröffnete, dem Stadtteil, in dem sie aufgewachsen ist – sie beschäftigte sich damals intensiv mit dem Blumenschmuck für die abendlichen Dinner. Von dort aus führte sie ihr Weg zur Ausstattung von Modenschauen, Pop-up-Stores oder Videoshootings mit extravaganten floralen Installationen, heute zählen große Marken wie Flos, Cartier oder Jil Sander zu ihren Kunden. Es ist ein vergängliches Geschäft, ihre Auftragsarbeiten sind oft nur für wenige Stunden oder Tage zu sehen. Dafür experimentiert sie bei ihren freien Werken damit, diese haltbar zu machen, etwa mit Glycerin oder durch die Kombination mit Stoff. Wer eine Skulptur bei ihr kauft, kann darauf vertrauen, dass es sie in ein paar Monaten noch gibt. Im vergangenen Jahr hatte sie ihre erste Ausstellung in Berlin, zeigte großformatige Wesen aus Moos, schön, kreatürlich und ein wenig fremd. Der Bildhauer Tony Cragg gehört zu ihren Vorbildern. „Doch am meisten inspiriert mich die Natur selbst“, erzählt die 32-Jährige. „Vor allem die Natur in der Stadt. In einem Wald ist der einzelne Baum kaum erkennbar. Aber ein Baum vor einem Haus ist eine klar umrissene Form.“ Das städtische Grün, das sie am meisten fasziniert, ist das auf Verkehrsinseln. Es ist wenig beachtet, aber dafür umso eigenwilliger.

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