1600 Jahre Venedig

Auferstanden aus den Fluten

Eine Ausstellung im Dogenpalast von Venedig widmet sich der Stadtgeschichte im Spiegel der Kunst – und zeigt die Resilienz der Lagunenstadt gegen Krisen von gestern und heute

Von Petra Schaefer
27.01.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 195

Es sind gewaltige Wassermassen, die in Bill Violas Video „The Raft (Das Floß)“ aus dem Jahr 2004 eine Gruppe Wartender umspülen. Nicht unerschrocken, aber stoisch halten die Männer und Frauen die Naturgewalt aus, und als die Flut vorbei ist, erheben sie sich. Hier wird zum Abschluss der Ausstellung „1600 Jahre Venedig. Geburten und Wiedergeburten“ im Dogenpalast das Leitmotiv der Schau konkret erfahrbar: die Resilienz der Bewohner der Inselgruppe am östlichen Mittelmeer. Denn das bei Viola anschaulich inszenierte solidarische Miteinander zeichnet auch die jüngste Naturkatastrophe von 2019 aus, als ein alle Vorhersagen übertreffendes Hochwasser Venedig überschwemmte. Eine Serie von Schwarz-Weiß-Fotos zeigt, wie junge Menschen das Salzwasser aus überfluteten Kirchen waschen. Eine Videosimulation der Deichanlage MOSE verdeutlicht, wie der seit Ende 2020 effektive Hochwasserschutz funktioniert, der als das wichtigste Fanal für die Wiedergeburt der Stadt gelten kann, deren Untergang von jeher postuliert wird.

Mit welchen Krisen die Serenissima im Laufe ihrer Geschichte zu kämpfen hatte, zeigt die erstklassige Schau, die mit dem eigenen Bestand beweist, welche Fülle die städtischen Museen bieten. In zwölf Sälen werden mit rund 100 Exponaten Themen wie Staatsverschwörungen, Kriege, Pestilenzen und die (unblutige) Kapitulation 1797 an Napoleon abwechselnd mit Erfreulicherem wie dem Gründungsmythos, dem Moment der maximalen Expansion um 1500 sowie prunkvollen Feierlichkeiten verhandelt. Dabei sind von Giambellino, Tizian, Tintoretto und Tiepolo bis zu Longhi und Guardi alle wichtigen Maler vertreten. Am eindrucksvollsten aber ist das Kunsthandwerk, was auch damit zusammenhängt, dass die Glasobjekte, Fayencen, Silberteller, Münzen und Gemmen mit Werken von Malern der zweiten Garnitur kombiniert wurden. Selbst ein jüngst restauriertes, durchaus bemerkenswertes Familienporträt von Cesare Vecellio, dem Bruder des berühmteren Tizians, verblasst vor der Schönheit des Glaskelchs „Coppa Barovier“ (um 1460–1470), der mit einer mythologischen Miniaturnarration bemalt ist.

Venedig Dogenpalast 1600 Jahre Ausstellung
Im riesigen Format von gut drei mal drei Metern verewigte Ettore Tito „Die Einweihung des Glockenturms am Marktplatz 1912“, als der eingestürzte Kampanile neu aufragte. © Galleria Internazionale d'Arte Moderne di Ca' Pesaro, Venedig

Insgesamt wird deutlich, wie herausragend das Kunstschaffen in der Lagunenstadt auch dort war, wo es nicht als Weltklasse gilt. Augenscheinlich wird dies bei Ettore Titos „Die Einweihung des Glockenturms am Markusplatz 1912“ aus dem Museum für Moderne Kunst Ca’ Pesaro. Das lichtdurchflutete Werk des Venezianers greift auf das Bildformular von Tintoretto zurück, transponiert aber mit impressionistischem Duktus die aus den Wolken in die Szenerie hereinbrechenden Figuren in eine fröhliche Akrobatennummer: Gefeiert wird am Markusplatz der Wiederaufbau des 1902 eingestürzten Glockenturms. Das riesige Gemälde zeigt Kirchenvertreter und Besucher, doch der Protagonist des Geschehens, der Glockenturm, erscheint lediglich als Schatten auf der Prokuratien-Fassade. Das Meisterwerk kommt aus dem Depot. Es wäre zu wünschen, dass Fachleute und Publikum dank dieser Ausstellung weniger bekannte Künstler wiederentdecken würden. 

Service

AUSSTELLUNG

„1600 Jahre Venedig. Geburten und Wiedergeburten“,

Dogenpalast, Venedig,

bis 5. Juni

 

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