Ukraine-Krieg

„Kunst ist eine starke Waffe“

Die Illustratorin Anna Sarvira aus Kiew kommentiert in ihren Werken den Krieg in der Ukraine. Wir sprachen mit ihr über dunkle Vorahnungen und Kunst in Zeiten des Kriegs

Von Clara Zimmermann & Lisa-Marie Berndt
17.03.2022

Wo befinden Sie sich momentan?

Ich bin gerade in Köln.

Wie haben Sie die Zeit seit Ausbruch des Kriegs erlebt?

Zu Kriegsbeginn war ich bereits seit ein paar Tagen in Deutschland, um meinen Freund zu besuchen. Als der Krieg begann, war ich geschockt. Die ersten zehn Tage waren wie ein Alptraum – ich habe nicht wirklich verstanden, was alles passierte. Ich war wie gelähmt. Die einzige Idee, die ich im Kopf hatte, war: Ich muss irgendetwas tun. Also habe ich versucht, viele Beiträge auf Englisch zu schreiben, um verlässliche Informationen zu verbreiten. Ich habe hier in Deutschland an Demonstrationen teilgenommen und bei einer Wohltätigkeitsveranstaltung mitgemacht, um Geld für die Ukraine zu sammeln. Ich habe auch Poster über den Krieg gestaltet.

Anna Sarvira Ukraine Krieg
„Peace“, 2022. © Anna Sarvira

Währenddessen habe ich die Menschen kontaktiert, die ich liebe und die mir nahestehen. Ich habe sie mehrmals am Tag gefragt, wie es ihnen geht, habe ihnen Hilfe angeboten, ihre Evakuierung organisiert – so weit es von Deutschland aus ging.

Einige Tage nach Kriegsbeginn begannen wir mit meinen Freunden und Kollegen von Pictoric – einem Illustratorenkollektiv aus Kiew – mit der Planung. Wir haben eine Website geschaffen, Plakate anderer ukrainischer Illustratoren über den Krieg gesammelt und begonnen, verschiedene Fonds, Vereine und Menschen im Ausland zu kontaktieren, um uns bei der Organisation von Wohltätigkeitsausstellungen zu helfen. Es ist ein seltsames Gefühl, eine Künstlerin in Zeiten des Kriegs zu sein. Man kann den Menschen nicht wirklich helfen, denn man ist kein Arzt, kein Soldat – nicht einmal ein Manager, der humanitäre Hilfe organisieren könnte. Aber dann haben ich herausgefunden, wie ich als Künstlerin helfen kann – und das ist auch eine starke Waffe.

Erzählen Sie uns etwas über Ihre Arbeit und den Pictoric Illustrators Club, bevor der Krieg zum beherrschenden Thema wurde.

Pictoric habe ich 2014 gemeinsam mit Freunden gestartet. Heute sind wir drei Kuratoren und Kuratorinnen: Olena Staranchuk, Oleg Ghryshchenko und ich. Wir hatten einige simple Ziele: Wir wollten coole ukrainische Illustrationen vor Ort und im Ausland präsentieren und internationale Ausstellungen, Workshops und Vorträge in der Ukraine organisieren.

Anna Sarvira Illustration Putin
„Where all the bullshit is coming from“, kommentiert Anna Sarvira diese Illustration auf ihrem Instagram-Account. © Anna Sarvira

Jedes Jahr haben wir eine große internationale Ausstellung auf der „Book Arsenal“ kuratiert, der größten Buchmesse in der Ukraine. Wir haben auch eine kleine Galerie für Illustrationen im Zentrum von Kyjiw eröffnet, sie heißt Orthodox. Vor dem Krieg haben wir immer wieder verschiedene Projekte organisiert, die ukrainische Illustratoren zusammengebracht haben. Zum Beispiel das YellowBlue-Projekt über die Ukraine, bei dem fast 100 Plakate von mehr als 40 Illustratoren erstellt wurden. Wir haben soziale Projekte über Menschenrechte oder Medienkompetenz durchgeführt. Und große Ausstellungen mit ukrainischen Illustrationen im Ausland organisiert wie „Ukrainian Garden“ in Seoul oder „Eyes on Ukraine“ zusammen mit den Torino Graphic Days in Turin.

All das hilft uns jetzt sehr – die Kulturdiplomatie funktioniert wirklich, wir bekommen Hilfsangebote aus der ganzen Welt, Illustratoren aus verschiedenen Ländern unterstützen uns und helfen bei Ausstellungen, von Ungarn über Finnland bis Japan.

Anna Sarvira Illustratorin Ukraine
„Es ist ein seltsames Gefühl, eine Künstlerin in Zeiten des Kriegs zu sein“, sagt die Künstlerin und Illustratorin Anna Sarvira. © Anna Sarvira

Sie haben eine Reihe von Zeichnungen veröffentlicht, die sich mit Alltag in der Ukraine angesichts des drohenden Kriegs beschäftigt haben. Sie wirken heute wie eine traurige Vorahnung. Wie kam es dazu?

Ich wurde vom MoMA gebeten, Zeichnungen zur aktuellen Situation in der Ukraine anzufertigen. Dabei war ich komplett frei: Ich konnte mir aussuchen, was genau ich dabei zum Thema mache.

Ich habe nicht so sehr gezweifelt – ich dachte, dass persönliche Erfahrungen und das alltägliche Leben Dinge sind, die leicht zu verstehen sein könnten. Tatsächlich waren die Monate vor dem Krieg ziemlich angespannt. Ich fühlte mich unsicher und war ein bisschen panisch. Die Leute wollten nicht so viel darüber reden, aber ich las alle Nachrichten – was man im Falle einer Bombardierung tun sollte, was man kaufen sollte, um vorbereitet zu sein. Und ich habe wirklich eine Menge Dinge gekauft: eine Axt, Fischkonserven, Medizin, Kerzen. Damals schämte ich mich ein bisschen dafür und erzählte fast niemandem von meiner Angst. Und dann beschloss ich, all das zu zeichnen – denn im Grunde war es das, was ich fühlte und was ich dachte. Es war ein bisschen wie eine Psychotherapie. Und als die Comics veröffentlicht wurden, schrieben mir viele Leute, dass sie das Gleiche fühlten.

Anna Sarvira Friedenstube Illustration Ukraine Krieg
„Russian Peace“, 2022. © Anna Sarvira

Was erhoffen Sie sich für die nahe Zukunft?

Ich hoffe, dass wir die russischen Truppen so schnell wie möglich aus unserem Land vertreiben werden. Jeder neue Tag des Kriegs tötet so viele Menschen. Was Russland tut, ist ein unglaublich schrecklicher Akt des Terrorismus.

Zur Startseite