Ausstellungen

Ein ganz normales Künstlerpaar

Maria Thurn und Taxis und Hugo Wilson teilen nicht nur ihr Leben, sondern auch ihr Atelier im Südwesten von London. Ein Gespräch über Routinen von Künstlerpaaren, falsche Erwartungen und die Last eines Namens

Von Simone Sondermann
20.03.2019

Fulham im Südwesten Londons sieht aus wie ein englisches Bilderbuchstädtchen: kleine, dicht gedrängte Häuser mit roten Klinkerfassaden und handtuchgroßen Vorgärten, Pubs, in denen Fußballschals über dem Tresen hängen, und kleine Gewerbebetriebe. Natürlich ist auch Fulhams Pflaster teuer und gentrifiziert wie der Rest der britischen Hauptstadt, dennoch scheint sich hier etwas von good old England erhalten zu haben. In den Bögen unter der Tube, die hier oberirdisch verläuft, in der Nachbarschaft von Autowerkstätten befinden sich die Ateliers von Maria Thurn und Taxis und Hugo Wilson. In zwei großen kargen Räumen mit gewölbten Decken und schäbiger Küchenzeile, die im zum Glück meist milden englischen Winter schlecht beheizbar sind, arbeitet das Ehepaar Seite an Seite. An den Wänden hängen Tierporträts in irritierend grellen Ölfarben, und Radierungen, die die alten Meister zitieren, im Nebenraum warten massive Bronzeskulpturen auf den Abtransport. Hugo Wilsons imposantes Werk dominiert diese Arbeitswelt, doch es gibt hier auch eine andere Sprache. Die Aquarelle von Maria Thurn und Taxis zeigen seltsame, sich selbst verzehrende Zwitterwesen aus Vogel und Schlange und sind trotz ihres großen Formats zart im Vergleich zu Wilsons Wucht. Sie ist erst seit ein paar Monaten in diesem Studio. Nach der Geburt der zweiten Tochter im September vergangenen Jahres hat sie zunächst nur sporadisch zu Hause gearbeitet, jetzt widmet sie sich wieder verstärkt ihrer Kunst.

Maria Thurn und Taxis und Hugo Wilson 2018 in ihrem Londoner Atelier (Foto: Alexander Coggin)
Maria Thurn und Taxis und Hugo Wilson 2018 in ihrem Londoner Atelier (Foto: Alexander Coggin)

Sie leben zusammen, Sie arbeiten zusammen: Wie funktioniert das?

Maria Thurn und Taxis: Der Vermieter unserer Studios ist ein lustiger Typ, er macht immer Sprüche. Vor Kurzem habe ich ihn getroffen, und er meinte zu mir, ich soll ihm Bescheid sagen, wenn Hugo mich nicht gut behandelt, schließlich wären wir ständig ­zusammen. Ich war tatsächlich besorgt am Anfang, wie es funktioniert. Aber wir sind beide sehr diszipliniert. Und wir haben unterschiedliche Tagesabläufe.
Hugo Wilson: Wir versuchen, uns nicht zu stören. Wir sagen nicht Tschüss oder Hallo, wenn einer kommt oder geht, dafür sehen wir uns ja morgens und abends und nachts (lacht). Wir machen das seit vier Monaten etwa, und es geht gut.
Wie haben Sie sich kennengelernt?
HW: Über einen gemeinsamen Freund. Wir haben uns verabredet, um in die Tate zu gehen. Ich erzählte ihr, was ich über die Zeichnungen dort wusste, sie hat nicht zugehört. Ich war sofort verliebt. Englische Männer, die von exotischen europäischen Frauen ignoriert werden, verlieben sich schnell. (lacht)
MT: Wir waren einige Jahre zusammen, bevor wir geheiratet haben. Ich erinnere mich an eines unserer ersten Dates. Du hattest dieses Studio, wo war es noch mal? Du hast dich mit Tierkadavern beschäftigt, deshalb gab es dort einen sehr intensiven Geruch. Wir konnten dort also nicht bleiben. Es war mitten im Winter. Und so sind wir mit dem Motorroller ins Kino gefahren.
HW: Es erstaunt mich bis heute, dass du dich auf einen Scooter gesetzt hast. (lacht) Damals habe ich noch kaum Geld verdient mit meiner Kunst, und ich war sehr besorgt darüber.

Als Sie angefangen haben, als Künstler zu arbeiten, waren Sie noch sehr jung.

HW: Ich habe mit 18 Jahren die Schule verlassen und hatte keinerlei Unterstützung. Ich bin dann nach Florenz gegangen und habe mich als Porträtmaler ausbilden lassen. Ich war ja vorher auf einer sehr guten Privatschule, die mein Onkel bezahlt hat, und von dort kannte ich Leute, die mich unterstützt haben, indem sie Porträts von mir gekauft haben.

Sie waren ein professioneller Porträtmaler?

HW: Ja, ich wusste einfach nichts über Kunst. Ich hatte kein Geld und die altmodische Einstellung: Du musst dir das, was du tun willst, verdienen. Heute weiß ich, es gibt auch öffentlich unterstützte Wege, Künstler zu werden, Stipendien, Kunsthochschulen. Mein erstes Studio war gerade mal 300 Meter von hier entfernt. Während meine Freunde damals um die Welt gereist sind, saß ich da und habe schlechte Porträts von Leuten gemacht.
MT: Sie waren nicht schlecht …
HW: Die ersten waren ziemlich schlecht. Mit Anfang zwanzig wurde mir klar, dass ich das nicht will. Ich habe mir Geld geliehen, um eine erste Ausstellung in einer kleinen Galerie zu machen und noch mal zwei Jahre hier in London zu studieren, was teuer war. Es war ein seltsamer Start, wenn ich heute, mit 36 Jahren, zurückblicke, mit meinen vier Galerien, einem Studiomanager und allem Drum und Dran. Ich mache seit zwanzig ­Jahren Kunst, eine sehr lange Zeit für jemanden meines Alters.
MT: Es war einfach dein Weg. Bis Menschen bereit waren, für deine Vision zu bezahlen, hast du dir eine Nische gesucht. Es gab dann irgendwann nur die Schwierigkeit, dass die Menschen bestimmte Erwartungen an dich hatten. Sie kamen wegen deiner Porträts, und du musstest ihnen sagen: Nein, das ist nicht mehr das, was ich mache.

Maria Thurn und Taxis spricht langsam und überlegt, ihr Englisch hat einen feinen Regensburger Einschlag. Es geht eine angenehme Ruhe von ihr aus. Die älteste Tochter von Fürstin Gloria von Thurn und Taxis agiert im Gegensatz zu ihrer Mutter sehr zurückhaltend und meidet öffentliche Auftritte. Die 38-Jährige wirkt wie ein Mensch, der sich viel hinterfragt, dem wenig selbstverständlich ist. Ihr Mann ist deutlich extrovertierter, lacht laut und gern, streut Flüche ins Gespräch ein, das er pointiert und in hohem Tempo führt.

Was ist mit Ihnen, Frau Thurn und Taxis, beeinflusst die Art, wie Sie aufgewachsen sind, Ihre Kunst?

MT: Es ist immer schwer zu sagen, wie viel in einem steckt und welche Rolle die Erfahrungen spielen. Wenn es um Erfahrung geht: Als ich jung war, hat meine Mutter intensiv Kunst gesammelt, Keith Haring zum Beispiel oder die Chapman-Brüder.

Die Werke von Jake und Dinos Chapman sind oft sehr hart und provokant.
MT: Ja, daher stammt, glaube ich, meine Vorliebe für das Dunkle, Aggressive in der Kunst. Ich mag das allerdings nur, wenn es ein Element von Schönheit oder Humor darin gibt. Dann kommt zum Ausdruck, wie das Leben ist. Die Gegenwartskunst, die meine Mutter gesammelt hat, stand in starkem Kontrast zu dem historischen Kontext meiner Familie, mit beidem bin ich aufgewachsen. Mein Background hat mir Türen geöffnet, aber bei meiner Arbeit macht er es mir nicht leicht.

Glauben Sie, dass es für Sie schwieriger ist als für andere, als Künstlerin akzeptiert zu werden? Stehen Ihnen die Vorurteile wegen Ihrer Herkunft im Weg?

MT: Es ist nun mal ein in Deutschland sehr bekannter Name, dadurch wird schneller über mich geurteilt, denke ich. Ich kenne das ja auch von mir selbst, wenn man ein Magazin durchblättert, man urteilt einfach sehr schnell über die, von denen man da liest. Dennoch bin ich in Deutschland künstlerisch präsenter als in England. Damit hatte ich nicht gerechnet, das hat sich so entwickelt. Auch unterstützt durch meine Galerie Ebensperger, die in Berlin und Salzburg sitzt.

Haben Sie einmal überlegt, Ihren Namen zu ändern?

MT: Ja, das habe ich, es gab einen Moment, da wollte ich es. Aber dann hatte ich das Gefühl, nicht ehrlich zu mir selbst zu sein. Und in der heutigen Zeit, bedingt durch das Internet, sehe ich nicht, wie man es schaffen soll, nicht identifiziert zu werden.

Ist Ihr Name in England so bekannt wie in Deutschland?

MT: Nein, nicht annähernd. Hier gibt es noch ein stärkeres Klassensystem als in Deutschland. Ich fand das manchmal geradezu schockierend.
HW: Und Aristokraten aus Europa zählen hier nicht. (lacht)
MT: Ja, viele Engländer sind vor allem an ihrer eigenen Geschichte interessiert. Das ist wunderbar. Dadurch können wir anonym sein.
HW: Es gibt so viele verrückte Leute in London, die berühmt sein wollen. Was den Vorteil hat: Wenn du nicht berühmt sein willst, musst du es nicht sein. Als wir anfangs zusammen waren, gab es viele Presseanfragen. Aber wir haben immer Nein gesagt, dann haben sie schnell aufgehört zu fragen. Es gibt in England noch viele andere europäische Prinzessinnen, es tut mir leid, das sagen zu müssen, Darling. (lachend zu seiner Frau)

Was sagen Sie zu dem Klischee, dass ein guter Künstler arm sein muss? Ist das eine abwegige Vorstellung, wenn man den heutigen Kunstmarkt betrachtet?

HW: Das ist ein seltsames 19.-Jahrhundert-Überbleibsel. In früheren Zeiten war das irrelevant. Peter Paul Rubens ist dafür ein großartiges Beispiel. Wenn ein Künstler des 17. Jahrhunderts erfolgreich war und ein ­großes Haus gebaut hat, dann sagte jeder: Gut gemacht!

In Hugo Wilsons Werk ist seine intensive Auseinandersetzung mit der Kunst der alten Meister unverkennbar. Er collagiert deren Bildthemen und dreht sie mitunter ins Absurde, als suchte er Antworten auf alte Fragen in unserer postmodernen, digitalen Welt. Auch Maria Thurn und Taxis bereitet ihre Arbeiten oft mithilfe von Collagen vor. In ihrer künstlerischen Welt dominieren Maskeraden und bizarre Verwandlungen. Eine Art grimmiger Humor, den man auch im Werk ihres Mannes findet.

Zurück zum Thema Künstlerpaar: Beeinflussen Sie sich gegenseitig? Wenn ja, wie?

HW: Auf jeden Fall. Unsere Interessen und unser kritisches Verständnis sind ähnlich.
MT: Wir haben darüber kürzlich mit einem Sammlerpaar gesprochen, die bei uns im Studio waren. Das ist ja vor allem Hugos Raum. Aber weil unsere Arbeiten visuell so gegensätzlich sind, gibt es einen klaren Schnitt zwischen unser beider Sphären.
HW: Ich finde sie nicht gegensätzlich. Sie sind nur unterschiedlich.
MT: Der Gegenstand, der Inhalt ist sehr ähnlich, aber unser künstlerischer Zugang ist sehr unterschiedlich. Da gibt es auch eine Konkurrenz …

Das wäre meine nächste Frage gewesen.

MT: Oh, wirklich? (lacht) In einer Beziehung gibt es natürlicherweise ein Element von Konkurrenz. Das liegt in der menschlichen Natur. Ich verstehe mehr und mehr, dass die Karriere eines Künstlers nicht linear verläuft. Das macht es sehr aufregend. Vor einigen Jahren war Hugo an dem Punkt, an dem ich jetzt bin, er hat sein eigenes Ding gemacht. Dieses Jahr war er hingegen sehr in Projekte involviert, seine Skulptur wurde auf der Frieze­ gezeigt, im Regent’s Park, und vieles mehr. Aber auch ich habe in diesem Jahr mehr Sammler auf mich aufmerksam gemacht. Und dann gibt es wieder Phasen, wo es ruhig wird. Hugo hat hart dafür gearbeitet, wo er jetzt steht, und ich erwarte nicht von mir, auf demselben Level zu sein. Und dann kommt noch der Frauenaspekt dazu. Wenn man sich für Kinder entscheidet, geht es allein zeitlich nicht, die gleiche Menge an Arbeit zu bewältigen. Ich kenne nicht so viele Details über andere Künstlerpaare, aber es passiert öfter, glaube ich, dass die Frauen ihre Karrieren aufgeben, um ihren Partner zu unterstützen. Die Frage ist, inwieweit sich die Frau selbst aufgibt, inwieweit es ihre eigene Entscheidung ist oder eine sehr dominante männliche Figur sie dort hineindrängt.

Haben Sie über diese Option nachgedacht?

MT: Es gab einen Punkt mit den Kindern, an dem ich sehr erschöpft war, da habe ich mich schon gefragt, ob ich in der Lage bin, mein künstlerisches Werk weiterzutreiben. Aber ich hatte immer das Bedürfnis, etwas zu schaffen. Ich fühle mich besser damit. Ich hatte in den vergangenen Jahren viel Bestätigung, dass ich weitermachen soll, und Hugo war da ein wichtiger Einfluss.
HW: Ich würde es hassen, wenn du aufhörst. Das ist ganz egoistisch.
MT: Ich arbeite also für dein Wohl? (lacht)
HW: Ja! Du bist Künstlerin. Du wirst verrückt, wenn du nicht arbeitest.

Service

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst 152

AUSSTELLUNGEN

Maria Thurn und Taxis, »Hypnagogia«

Siegfried Contemporary, London

29. März bis 23. April

 

Hugo Wilson, »Crucible«

Isa Gallery, Mumbai

bis 27. April

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