Kunstmarkt-Skandal

Endstation Vanuatu

Der frühere Galerist Inigo Philbrick wurde zu sieben Jahre Haft verurteilt. Damit ist vor dem obersten Gerichtshof in New York einer der spektakulärsten Betrugsfälle der letzten Jahre in Sachen Kunst zu Ende gegangen.

Von Sebastian C. Strenger
27.05.2022

Im Dezember 2019 vermeldete die Nachrichtenagentur Bloomberg, gegen Inigo Philbrick, Galerist mit Hauptsitz in Miami/Florida, seien insgesamt sechs Klagen bei Gericht eingereicht worden: in London, New York und Miami. Dem 32-Jährigen, gesegnet mit einem Auge für die Kunst und einem Näschen fürs Geschäft, wurde zur Last gelegt, ein und dieselben Kunstwerke mehrfach verkauft zu haben – an verschiedene Investoren aus Asien, Europa und den USA. „Miami is a sunny place for shady people“ – das Sprichwort hatte sich offenbar wieder einmal bestätigt.

Stein des Anstoßes war ein Gemälde des Südtirolers Rudolf Stingel (*1956) aus dem Jahr 2012, das am 15. Mai 2019  bei Christie’s, New York, für 5,5 Millionen Dollar versteigert worden war. Die Einlieferer waren – wie später bekannt wurde – David und Simon Reuben (nach der Queen die reichsten Briten): und zwar über ihre Firma Guzzini Properties. Die Reuben-Brüder hatten das Gemälde 2017 von Philbrick als Sicherheit für ein Darlehen über 6 Millionen Dollar erhalten. Den Zuschlag erhielt damals der New Yorker Händler Stellan Holm. Doch noch bevor Holm das Bild in Besitz nehmen konnte, wurden andere Ansprüche laut. Der Hedge-Fonds-Manager Aleksandar Pesko gab zu Protokoll, er halte seit 2016 einen halben Anteil an dem Gemälde. Und das Berliner Unternehmen Fine Art Partners (FAP) vermeldete, das Werk 2015 auf Anraten Philbricks für 7,1 Millionen Dollar von einem russischen Sammler erworben zu haben, um es beizeiten dann wieder durch Philbrick gewinnbringend veräußern zu lassen.

Kein Einzelfall. An besagten Pesko verkaufte Philbrick beispielsweise für 12,2 Millionen Dollar auch einen Anteil an der Mixed-Media-Collage „Humidity“ von Jean-Michel Basquiat, die er zuvor in einem Private Sale erworben hatte – nur eben nicht für 18,5 Millionen Dollar, wie er Pesko gegenüber angab, sondern nur für 12,5 Millionen. Da Philbrick demnach nur 300.000 Dollar zu dem Deal beigesteuert hatte, war Pesko im Grunde der rechtmäßige Eigentümer des Kunstwerks. Dennoch scheiterten später seine Bemühungen, das Werk auch tatsächlich zu erhalten, da Athena Art Finance, New York, die Arbeit – die Philbrick als Sicherheit für ein Darlehen von 13,5 Millionen Dollar diente – zwischenzeitlich verpfändet hatte.

Eines von Yayoi Kusamas abstrakten „Infinity Net“-Gemälden, das der Investor Andre Sakhai in einer Londoner Galerie zum Preis von 850.000 Dollar erworben hatte, verkaufte Philbrick – nachdem ihm Sakhai, der Taufpate seiner Tochter, das Bild zwecks Restaurierung eines zwischenzeitlich entstandenen Wasserschadens anvertraut hatte – kurzerhand an das belgische Unternehmen Parfinim. Sakhai gab gegenüber der New York Times an, nie Geld dafür gesehen zu haben.

Rudolf Stingels Ölgemälde Untitled Philbrick Skandal
Stein des Anstoßes war das Gemälde „Untitled“ des Südtirolers Rudolf Stingel (*1956) aus dem Jahr 2012, das am 15. Mai 2019 bei Christie’s New York für 5,5 Millionen Dollar versteigert wurde. © Christie's, New York

Der Kunstkritiker Kenny Schachter, der viele Jahre mit Philbrick befreundet war, sprach von an 25 bis 30 Werken, die der „talentierte Mr. Philbrick“ – wie die New York Times in Anlehnung an die Filmrolle des Betrügers „Mr. Ripley“ titelte – nach diesem Muster zu Geld machte. Gleichzeitig dienten ihm diese Werke als Sicherheit für diverse Millionen-Kredite. Alles in allem handelte es sich hier also möglicherweise um eine Art Ponzi-Betrugssystem à la „Bernie“ Madoff, bei dem der Urheber des Systems zwar jedem „Kunden“ bekannt, aber die Quelle der Gewinnausschüttung jeweils unklar ist. Im Fokus: der ehemalige Praktikant aus der renommierten White Cube Gallery in London. Philbrick hatte, nachdem er 2010 dort eingetreten war, durch gute Arbeit im Geschäftsfeld „Sekundärmarkt“ schnell das Vertrauen des Galeriegründers Jay Jopling gewonnen. Als Philbrick sich 2013 mit einer eigenen Galerie selbstständig machte, unterstützte ihn Jopling denn auch finanziell. 

Woher kamen die Werke in Philbricks Galerie? Wer bediente ihn mit großen Namen wie Franz West, Bruce Nauman, Donald Judd? Mit wessen Geld wurden die millionenschweren Arbeiten gekauft? Unterstützte ihn dabei immer nur die FAP, mit deren Hilfe Philbrick nachweislich auch Positionen der gefragten Künstler Christopher Wool, Wade Guyton und Yayoi Kusama erwarb? 

Fast ein halbes Jahr lang war der Händler spurlos verschwunden gewesen. Anfang Juni 2020 wurde er schließlich durch das FBI in Vanuatu, einem Inselstaat im Südpazifik, aufgespürt, festgenommen und unter anderem wegen elektronischen Betrugs und Identitätsdiebstahls in New York angeklagt. Zwischenzeitlich drohten dem früheren Shootingstar bis zu 20 Jahre Gefängnis – vor wenigen Tagen wurde er nun zu sieben Jahren Haft verurteilt. Der Gesamtschaden soll sich auf 86 Millionen Dollar belaufen – anfangs war noch von 20 Millionen die Rede gewesen. Über die Summe, die Philbrick den Geschädigten zu erstatten hat, soll zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden.  

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