Bild des Tages

Rosemarie Trockels „Sabine“

Was hat Sabine vor? Sie hockt nackt auf einem elektrischen Herd, die Füße vorsichtig auf dem weißen Email ausbalanciert. Dafür liegt die rechte Hand direkt auf der Herdplatte, und möchte sich die Schmerzen nicht ausmalen, die das erhitzte Metall provozieren könnte

Von Christiane Meixner
20.12.2022

„Sabine“ nennt Rosemarie Trockel ihre schwarz-weiße Arbeit von 1994 – und vieles ist hier angelegt, was die Künstlerin später berühmt gemacht hat. Der Fokus auf den Status des Weiblichen in jener Zeit wie auch im Kunstbetrieb. Der Herd als Symbol der ihr zugedachten Hemisphäre. Trockel ist Jahrgang 1952, die traditionelle Arbeitsteilung in der Familie war noch überpräsent. Stattdessen machte sie nach einem Studium an den Kölner Werkschulen ihr Ding aus solchen Erwartungen: Die Künstlerin schuf große, maschinell erzeugte Strickbilder; mit Herdplatten machte sie Konzeptkunst, die sich neben den minimalen Werken ihrer männlichen Kollegen behaupten und sie gleichzeitig karikieren sollten. Es hat funktioniert. Heute gilt Trockel, die jüngst ihren 70. Geburtstag feierte und aktuell mit einem großen Ausstellung im MMK für Moderne Kunst in Frankfurt geehrt wird, als einflussreichste deutsche Künstlerin. Im „ Kunstkompass“, dem jährlichen Ranking der Kunstwelt, das von Gerhard Richter angeführt wird, behauptet sie verlässlich den vierten Platz noch vor der amerikanischen Künstlerin Cindy Sherman.

Was uns auf „Sabine“ zurückbringt. Auch dieses Motiv ist eine Fotografie und typisch für Trockel, obwohl sie sämtliche Medien vom Bleistift über Kunsthaar bis zur Keramik nutzt. Fotografisches taucht seit den Achtzigerjahren immer wieder in ihrem Werk auf – genau wie das Interesse der Künstlerin an der Doppel- bis Vieldeutigkeit. Sie ist die große Konstante. Hockt Sabine nun schutzlos und ausgeliefert auf dem Herd? Oder mutiert sie zur archaischen Kriegerin mit Sonnenbrille, die jagen geht, während sich andere um die Küche kümmern können? Das Rätsel lässt sich nicht lösen, auch Jahrzehnte später bleibt die Aufnahme voller Geheimnisse. Das macht die Kunst von Rosemarie Trockel so zeitlos spannend, dass es jedesmal erneut ein Flash ist, wenn man wie jetzt im MMK Sabine auf dem Herd sieht.

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