Jahrzehnte nach Ende der Nazi-Zeit streiten Erben jüdischer Opfer immer noch um die Rückgabe geraubter Kunstwerke. Ab 1. Dezember soll es leichter werden, die Streitfälle zu klären. Funktioniert das?
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27.11.2025
80 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges warten immer noch viele jüdische Familien auf Kunstwerke, die ihnen im Nationalsozialismus geraubt wurden. Immer wieder kommt es auch zum Streit um Werke, die in öffentlichen Sammlungen liegen. Die Frage: Handelt es sich um Raubkunst? Schiedsgerichte soll nun in solchen Fällen entscheiden, auch über prominente Fälle wie Picassos Bild „Madame Soler“. Am 1. Dezember nehmen sie ihre Arbeit auf. Ein Überblick mit Fragen und Antworten.
Gemeint sind Kunstwerke und Kulturgüter, die meist jüdische Opfer der Nationalsozialisten aufgrund der Verfolgung zwischen 1933 und 1945 verloren. Manches beschlagnahmten die Nazis direkt. Manchmal waren Menschen gezwungen, ihr Hab und Gut weit unter Wert zu verkaufen, etwa um die von den Nazis erzwungene „Reichsfluchtsteuer“ zahlen zu können.
Schätzungen gehen von bis zu 600.000 geraubten Kunstwerken in der Nazi-Zeit aus. Über Restitutionen – also Rückgaben – führt das Deutsche Zentrum für Kulturgutverluste in Magdeburg ein Verzeichnis, das mangels Meldepflicht aber nicht unbedingt vollständig ist. Darin erfasst waren bis Ende September 9.864 „museale Objekte“ sowie 34.971 Bibliotheksgüter und Archivalien, die seit Kriegsende an Eigentümer oder deren Erben zurückgegeben wurden.
Allein seit 1998 wurden in Deutschland 7.738 Kulturgüter aus Museen zurückgegeben sowie mehr als 27.550 Bücher und anderes Bibliotheksgut. Das Jahr 1998 ist wichtig, weil damals Deutschland und etwa 40 andere Staaten die sogenannten Washingtoner Prinzipien vereinbarten. Sie verpflichteten sich, die Rückgabe der Raubkunst voranzutreiben.
In Deutschland wurde 2003 für Streitfälle die „Beratende Kommission NS-Raubgut“ errichtet. Sie hat aber nur 26 Fälle abgeschlossen. „Dass die Kommission nur relativ wenige Raubkunstfälle behandelt hat, beruhte nicht etwa auf einer unzulänglichen Arbeitsweise der Kommission, sondern darauf, dass nicht mehr Fälle an sie herangetragen wurden“, sagt der scheidende Vorsitzende Hans-Jürgen Papier. Der Grund sei, dass die Kommission nicht einseitig von der Opferseite angerufen werden konnte.
So musste etwa ein Museum, das ein Kunstwerk hergeben sollte, dem Verfahren vor der Kommission zustimmen. Bei öffentlichen Einrichtungen sei das nicht immer erfolgt, sagt Papier, ehemals Präsident des Bundesverfassungsgerichts. Nun wird die Beratende Kommission zum 30. November aufgelöst und durch eine „Schiedsgerichtsbarkeit“ ersetzt. Wichtigste Neuerung: Erben der Opfer können künftig in der Regel die Schiedsgerichte einseitig anrufen. Deren Entscheidung soll verbindlich sein.
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer (parteilos) erhofft sich von den Schiedsgerichten „neue Bewegung“ bei der Aufarbeitung des historischen Unrechts. Gründungspräsident Peter Müller dämpft aber die Erwartung, dass es zu schnelleren Verfahren kommt. „Die Schiedsgerichte müssen mit der gleichen Umsicht und Genauigkeit vorgehen, wie dies bereits die Beratende Kommission getan hat“, sagt Müller auf dpa-Anfrage.