Kunstwissen

Zur Restitution von afrikanischer Kunst

Die Debatte um Restitutionen afrikanischen Kulturerbes treibt Europa um. Wenn afrikanische Kunst nur noch für koloniales Unrecht steht, werden wir Europäer an ihr die Freude verlieren.

Von Sebastian Preuss
22.02.2019

Die Schatten der Geschichte sind lang, und die Zeit heilt eben doch nicht alle Wunden. Jetzt ereilt es die ethnologischen Museen, auf die eine gewaltige Welle von Restitutionen zurollt. Frankreichs Museen sollen auf Geheiß von Präsident Emmanuel Macron afrikanische Kunst an die Herkunftsländer zurückgeben: Tausende von Objekten, darunter viele spektakuläre Meisterwerke. Macron hat eine Kulturrevolution entfacht; sie wird wohl durch keine Kunstdiplomatie so leicht einzudämmen sein.

Unerreichbares Kulturerbe

Die desaströsen Folgen des Kolonialismus auf dem afrikanischen Kontinent, den sich die Briten, Franzosen, Deutschen und Belgier mit großer Brutalität untereinander aufteilten, sind bekannt. Auch die Tatsache, dass die Kolonialherren Hunderttausende von Kunstwerken, heiligen Objekten und selbst Knochen von Toten mitnahmen. Oft mit Gewalt oder ohne angemessene Bezahlung der Stammesvölker durch die Kolonialbeamten oder die Wissenschaftler, die in Scharen den Kontinent erforschten. Ein Großteil des afrikanischen Kulturerbes ist heute nicht mehr in Afrika. Wenn die Menschen dort wichtige Aspekte ihrer Geschichte sehen wollen, müssen sie nach London, Paris oder Berlin reisen. Ein Visum wird ihnen dafür nicht erteilt.

Ein umfassender Restitutionsreport

Auf seine überraschende Ankündigung im November 2017 in Burkina Faso, dass er innerhalb seiner Amtszeit eine „zeitweise oder definitive Restitution“ der afrikanischen Kunst auf den Weg bringen wolle, ließ Macron Taten folgen. Er beauftragte die französische, in Berlin lebende und arbeitende Kunsthistorikerin Bénédicte Savoy und den senegalesischen Ökonomen und Schriftsteller Felwine Sarr, in einem Bericht Empfehlungen auszusprechen. Der 250-seitige Report, den die beiden Ende November veröffentlichten (englisch und französisch auf www.restitutionreport2018.com), ist seither in aller Munde.

Tausende Objekte in unrechtmäßigem Besitz

Rund 90 000 Objekte aus den Sub-Sahara-Ländern lagern in französischen Museen, davon 70 000 im Musée du quai Branly in Paris. Allein in diesem Haus stellen die Wissenschaftler 46 000 Stücke als unrechtmäßigen Besitz zur Disposition. Um detaillierte Provenienzforschung geht es ihnen nicht. Denn für sie ist jegliche Erwerbung, die sich in kolonialer Zeit abspielte, grundsätzlich ein unfaires Geschäft. Die Restitution soll zügig vorangehen, doch müssen die afrikanischen Staaten offizielle und konkrete Forderungen an Frankreich stellen. Dass es ihm ernst ist, hat Macron untermauert, indem er am Tag der Berichtspräsentation eine bedeutende Rückgabe ankündigte: Benin wird 26 kostbare Figuren des Königreichs Dahomey aus dem Branly-Museum zurückerhalten.

Die Debatte in Deutschland

In Deutschland reagierte man hektisch, denn damit steht im Grunde die ganze völkerverbindende Idee des Humboldt Forums infrage. Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts, hält die Savoy/Sarr-Forderungen für „Ablasshandel“, um sich von Schuld „reinzuwaschen“. Für Hartmut Dorgerloh, Intendant des Humboldt Forums, argumentiert vorsichtiger: Eine pauschale Rückgabe könne „nicht die Antwort auf die komplexe Geschichte von Kulturen, Gesellschaften und Staaten“ sein. Hermann Parzinger, Präsident der Preußen-Stiftung und Herr über die künftigen Sammlungen im Humboldt Forum, beharrt auf der Provenienzforschung als Grundlage für Restitutionen. Derweil fordern Kulturministerin Monika Grütters und Michelle Müntefering, Kulturstaatssekretärin im Auswärtigen Amt, die rückhaltlose Aufarbeitung des Kolonialismus über die Museen hinaus. Und gerade erst hat das Außenministerium eine millionenschwere Agentur angekündigt, die in der Zusammenarbeit mit Afrikas Museen aktiv sein will.

Die Wertschätzung afrikanischer Kunst in Europa

Hinter Macrons Vorstoß kann jetzt niemand mehr zurück, es wird auch in Deutschland Restitutionen geben müssen. Und doch ist die Radikalität der pauschalen Forderungen von Savoy und Sarr verstörend. Wenn wir in der afrikanischen Kunst nur noch das Unrecht der Vergangenheit sehen, wird sie moralisch stigmatisiert und das Publikum wird irgendwann das Interesse an ihr verlieren. Ebenso könnte es dem Handel und der Sammlerkultur gehen, wenn hier alle Akteure potenziell mit dem Ruch des Unrechts behaftet sind. Was ist mit der Ästhetik, der Ausstrahlung der Meisterwerke aus Benin, von den Dogon oder den Luba? Wo in ihrem Forderungskatalog berücksichtigen Savoy und Sarr die Liebe, die Europäer und Amerikaner ein Jahrhundert lang dieser Kunst entgegengebracht haben, mit der Museen sie gepflegt und Wissenschaftler sie akribisch erforscht haben?

Globale Verflechtungen der Kunstgeschichte

Picasso, die Kubisten, die Expressionisten, die Dadaisten und viele andere Künstler haben sich begeistert mit den afrikanischen Artefakten auseinandergesetzt; die westliche Moderne wäre ohne sie nicht denkbar. Die afrikanische Kunst gehört zu Europa ebenso wie zu Afrika. Kunst muss zirkulieren, im Museum wie am Markt, wenn sie den Austausch der Kulturen fördern soll. Es muss Lösungen geben, die auch uns Europäern die Freude an den wunderbaren Kunstwerken erhalten. Geht sie verloren, wird das unsere Kluft zu Afrika nur vertiefen.

Service

Dieser Beitrag erschien in

Weltkunst Nr. 153/2019

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