Hermann Parzinger

„Ich hatte meinen Traumjob“

Nach 17 Jahren an der Spitze der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) verabschiedet sich Hermann Parzinger in den Ruhestand. Wir sprachen mit ihm über sein Elternhaus, den Weg zur Archäologie, die Schwachstellen des Humboldt Forum und seine persönliche Bilanz

Von Simone Sondermann
27.05.2025

Herr Parzinger, was war Ihr erster Berufswunsch als Kind?

Jedenfalls nicht Archäologe. Ich weiß nicht mehr genau, ob Polizeibeamter oder Pilot. Mein Vater war beides.

Haben Ihre Eltern immer an Sie geglaubt?

Ja. Das war für mich vor allem wichtig, als ich mich entschieden habe, nicht Medizin, Jura, Physik oder irgendwas sogenanntes Handfestes zu studieren, sondern Archäologie. Sie hätten mich davon nicht abbringen können, aber ihre Unterstützung war mir wichtig. Vorbehalte hatten eher meine ehemaligen Lehrer. Auf dem ersten Abiturtreffen nach ein paar Jahren haben sie zu mir gesagt: Ach, du studierst jetzt Archäologie? Na ja, du hast bei der Bundeswehr ja zum Glück den Lastwagenführerschein machen können … Das hat mich zusätzlich angespornt.

Hat Kunst in Ihrer Familie eine Rolle gespielt?

Ich komme aus einem sogenannten nichtakademischen Elternhaus. Aber meine Eltern haben unglaublich viel gelesen, vor allem über Geschichte, und waren kulturinteressiert. Bei Reisen war der Besuch von Kirchen, Museen und Denkmälern immer gesetzt. Mein Vater, Jahrgang 1917, ist im Bayerischen Wald als eines von 13 Kindern unter ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen und hat dort eine Schreinerlehre gemacht. Er wollte dieser dörflichen Enge entfliehen, das waren auch harte Zeiten damals Anfang der 1930er-Jahre, deshalb ist er Flieger geworden. Nach dem Krieg hat er den Schreinerberuf nicht mehr ausgeübt, hat dann aber, weil es ihm großen Spaß gemacht hat, Spezialaufträge in der Schreinerei übernommen und für Kunstwerke Sockel produziert oder Barockkommoden nachgebaut. Als Junge war ich oft dabei, und ich arbeite auch heute noch gerne mit Holz.

Gab es einen Moment, in dem Sie zum ersten Mal gedacht haben: Ich könnte Archäologe werden?

Mir war am Ende der Schulzeit absolut unklar, was ich studieren wollte. Während des Wehrdienstes bin ich zur allgemeinen Studienberatung gegangen, und während ich auf den Termin wartete, lag da zufällig eine Broschüre, in der der Beruf des Vor- und Frühgeschichtlers beziehungsweise Prähistorikers beschrieben wurde. Das hat mich sofort fasziniert: Geschichte quasi aus dem Müll vergangener Kulturen zu rekonstruieren, aus Scherben, Pollen, aus Tierknochen. Archäologie ist ungemein interdisziplinär. Ich wusste, dass die beruflichen Aussichten nicht besonders gut waren. Im ersten Semester habe ich jedoch gleich bemerkt, dass das mein Fach ist. Es war also eher ein Zufall. Das Studium lief erfolgreich, ich war mit 25 Jahren promoviert und habe dann ein Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts erhalten. Ich bekam danach eine Assistentenstelle an der Ludwig-Maximilians-Universität München, und für mich war eigentlich klar, dass ich eine universitäre Laufbahn einschlagen wollte. Es kam aber anders, ich wurde Stellvertretender Direktor des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Frankfurt und später Gründungsdirektor der Eurasien-Abteilung des DAI in Berlin.

Was haben Sie in Ihrem Studium für Ihr späteres Leben gelernt?

Dass man nie enge Scheuklappen haben darf. Ich habe in München an der LMU angefangen zu studieren, und mein akademischer Lehrer Georg Kossack war eine absolute Koryphäe des Faches. In seiner Einführungsvorlesung ging es nicht nur um Typologien von Steingeräten, Fibelfüßen oder Randlippen von Gefäßen, sondern es ging auch um die Entwicklung der prähistorischen Forschung im Kontext der Geistesgeschichte vom Humanismus über die Romantik bis zur Kulturkreislehre Anfang des 20. Jahrhunderts. Ich dachte: Wow, das ist eine ganz neue Perspektive auf das Fach. Dieser Ansatz, über den Tellerrand zu schauen und breiter zu denken, war für mich sehr prägend. Es geht doch immer ums große Ganze.

James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel Berlin, erbaut unter der Ägide von Hermann Parzinger
Zu den zahlreichen Bauprojekten unter Hermann Parzingers Ägide gehört auch die James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel. © Ute Zscharnt für / for David Chipperfield Architects

Hatten Sie Förderer?

Georg Kossack hat mich als mein Doktorvater sehr gefördert, er hat mich dann auch an die Uni nach Saarbrücken geschickt. Dort lehrte Rolf Hachmann, ein Bronzezeit- und Germanenforscher, das gab es in München so nicht. Hachmann war ähnlich wie Kossack eine Persönlichkeit, die sehr breit gebildet war, mit sehr weitem Horizont, auch sehr fordernd gegenüber den Studenten. Sowohl Kossack als auch Hachmann waren so, wie man sich einen Professor vom alten Schrot und Korn vorstellt, extrem streng, mit höchsten Anforderungen. Wenn jemand ein schlechtes Referat hielt, wurde das klar ausgesprochen.

Wie lief Ihr erstes Bewerbungsgespräch?

Ehrlich gesagt, hatte ich nie eins. Klingt vielleicht komisch, aber ich bin bei meinen Stellen immer gefragt worden.

Haben Sie einen Tipp für Bewerbungsgespräche?

Man sollte überzeugen, dass man für seine Sache brennt, das ist ganz wichtig. Und dass man stets aus einer tiefen Fachkompetenz heraus handelt und argumentiert. Das hat mir auch immer im Umgang mit der Politik und in meinem jetzigen Amt geholfen. Grundsätzlich sollte man immer authentisch sein.

Was haben Sie in Ihrem allerersten Job verdient?

Ich kam zum Deutschen Archäologischen Institut Frankfurt, als Zweiter Direktor der Römisch-Germanischen Kommission. Das war eine A15-Stelle, und ich hatte mir schon die Hände gerieben und gedacht: Oh, jetzt endlich verdienst du ein bisschen mehr. Dann wurde mir erklärt, was der Bewährungsaufstieg im öffentlichen Dienst ist. Ich war viel zu jung und bekam erst mal dasselbe Gehalt wie als Assistent in München, das war A13. Ich musste zwei Jahre bis zur A14 warten. Und dann noch mal zwei Jahre, bis ich endlich die A15 hatte.

Können Sie gut verhandeln?

Ich kann gut verhandeln, wenn es etwa um Genehmigungen für Projekte geht. Ich habe für das DAI drei Jahre lang immer wieder im Iran verhandelt, bis es endlich geklappt hat, dass wir im Jahr 2000 die erste gemeinsame deutsch-iranische Grabung im Iran seit der Islamischen Revolution 1979 beginnen konnten. Das war in der Zeit von Präsident Mohammad Chatami, wo es eine große Öffnung gab und alle hofften, es würde so weitergehen. Später ist das Pendel wieder zurückgeschlagen. Wenn es um das eigene Gehalt ginge, wäre ich sicher ein schlechter Verhandler, aber als Beamter musste ich das zum Glück nicht, das Gehalt stand fest.

Auf welche berufliche Entscheidung sind Sie stolz?

Wenn ich an das Ende meiner Zeit an der SPK denke: Ich war froh, dass wir es wirklich geschafft haben, diese Reform kurz vor meinem Ausscheiden noch zu Ende zu bringen. Das schafft man nicht allein, sondern immer nur im Team. Und öffentliches Bauen wird ja immer kritisiert, aber ich habe mal nachgezählt: In meinen 17 Jahren Präsidentschaft haben wir 14 Bauprojekte fertiggestellt. Das sind kleinere wie der Erweiterungsbau des Museums Berggruen, aber auch große wie die Staatsbibliothek Unter den Linden, das Neue Museum, die James-Simon-Galerie, das Humboldt Forum. Bei Letzterem war ich nicht Bauherr, aber natürlich intensiv damit befasst. Das kann sich sehen lassen. Außerdem haben wir unsere Haltung zu Sammlungen aus kolonialen Kontexten grundlegend verändert. Wir geben Dinge zurück, wenn sie geraubt und gestohlen wurden. Wir haben auch gelernt, dass wir dabei viel gewinnen können: neue Partnerschaften, Respekt und Wertschätzung, aber auch Gegengaben und neue Inhalte. Dabei sind großartige Kooperationen in Gang gekommen. Von den Benin-Bronzen können wir ein Drittel als Dauerleihgaben behalten. Man denkt bei Restitutionen immer erst an Frankreich und Präsident Macrons Rede in Ouagadougou 2017, aber Deutschland hat inzwischen ungleich mehr geleistet, allein die Stiftung hat inzwischen über 600 Objekte restituiert. Es war richtig, und deshalb bin ich darauf auch ein wenig stolz.

Welche bereuen Sie?

Vielleicht hätte man beim Humboldt Forum einiges anders entscheiden müssen. Hinterher ist man natürlich immer klüger. Das Humboldt Forum hat eine sehr komplizierte Struktur. Es ist der Ort für die Ausstellungen, aber das Eigentum an den Sammlungen und damit auch die fachlich-inhaltliche Betreuung und Erforschung, inklusive der Entscheidung über Rückgaben, liegt natürlich bei der SPK. Das sollte man noch einmal überdenken, man müsste das alles zusammenführen.

Was würden Sie mit dem Wissen von heute anders machen?

Man hätte schon früher anfangen können, die Struktur der SPK zu verändern. Wir haben aber die letzten fünf Jahre intensiv genutzt. Dabei merke ich, wie positiv sich das auswirkt. Den Einrichtungen mehr Autonomie zu geben, sie zu budgetieren und mehr Selbstverantwortung zuzulassen. Dabei verbunden mit der Verpflichtung, mehr zum Ganzen beizutragen. Damit hätten wir früher beginnen können.

Wen haben Sie gefördert?

In der Archäologie habe ich meine Studierenden gefördert. Etwa ein Dutzend hat bei mir promoviert, auch wenn ich die Lehre nur nebenbei als Honorarprofessor gemacht habe. Die jetzige Professorin am Institut für Prähistorische Archäologie der Berliner FU, Henny Piezonka, war meine Schülerin. Ich habe immer versucht, zu fordern und zu fördern, so wie ich es selbst erfahren habe. Und in meinen beruflichen Ämtern fand ich es immer wichtig, dass wir möglichst die besten Leute für unsere Führungspositionen bekommen. Dass die guten irgendwann wieder weggehen können, gehört dazu. Ralph Gleis hat einen unglaublichen Job gemacht an der Alten Nationalgalerie. Als er zum 1. Januar an die Albertina nach Wien gegangen ist, habe ich mich gefreut, wenn auch mit einem weinenden Auge. Wir haben aber zum Glück mit Anette Hüsch auch eine großartige Nachfolgerin.

Gab es schon mal einen Moment in Ihrem Beruf, in dem Sie gedacht haben: Das können Jüngere besser?

Vieles im Digitalen und im KI-Bereich, das können die Digital Natives besser. Ansonsten ist es normal, dass es nach 17 Jahren neue Ideen und Ansätze braucht. Es gibt ja diesen schönen Satz: Nur was sich verändert, bleibt. Marion Ackermann ist seit 1. März hier, und wir arbeiten wunderbar zusammen. Für mich ist es jetzt an der Zeit zu gehen, und das ist auch gut so.

Was können Sie besonders gut in Ihrem Beruf?

Ich arbeite und entscheide schnell. Das ist wichtig, wenn so viele Dinge auf dem Tisch landen. Und ich beantworte jede Mail, nicht nur die von Führungspersonen. Es ist mir wichtig, ansprechbar zu bleiben. Oft sind es ja nur zwei Zeilen, aber eine Antwort ist ein Zeichen. Mitarbeitende konnten sich immer an mich wenden, wenn sie ein Problem hatten oder Rat wollten. Vielleicht habe ich im unmittelbaren Arbeitsumfeld etwas zu wenig gelobt, weil Leistung für mich zu sehr eine Selbstverständlichkeit war. Und ich kann gut verschiedene Dinge zugleich machen. Ich meine damit jetzt nicht, während Videokonferenzen Mails zu schreiben. Aber ich habe während meiner Zeit hier bei der Stiftung auch zwei größere Bücher geschrieben. Ich kann nach Hause kommen oder morgens früher aufstehen und den Laptop aufklappen und einfach weiterschreiben, wenn die Dinge recherchiert sind. Ein Buch zu schreiben kann sogar eine Art von Erholung sein, Erholung von den Dienstgeschäften, weil es etwas Eigenes ist, für das nur man selbst verantwortlich ist.

Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, geht in den Ruhestand
Hermann Parzinger war 17 Jahre lang Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Deutschlands größter und wichtigster Kultureinrichtung. © SPK, Foto: Herlinde Koelbl

Welches Fachbuch muss man gelesen haben?

Hans Jürgen Eggers’ „Einführung in die Vorgeschichte“. Das ist ein ziemlich altes Taschenbuch, das in die prähistorische Archäologie einführt. Eggers hat die frühe Entwicklung des Faches immer im Kontext der Geistes- und Ideengeschichte gesehen.

Welche berufliche Reise hat Ihr Leben verändert?

Ich bin viel gereist in der Vorbereitung zum Humboldt Forum. Wie man in Kanada, in Australien oder in der pazifischen Inselwelt Museen neu denkt, unter Einbeziehung der indigenen Gruppen, die dort leben, hat mir noch mal gezeigt, in welche Richtung wir gehen sollten. Überhaupt, die Inselwelt des Pazifiks zu erleben: allein Vanuatu, ein Staat mit 120 Inseln und 82 verschiedenen Sprachen. Da versteht man Wilhelm von Humboldt, der sich ja unter anderem mit pazifischen Sprachen befasst hat. Wir sind auch in Brasilien gereist, am Amazonas gewesen. Da war ich auch bei den Archäologen an der Uni in São Paulo. Dort waren Keramiken ausgestellt, die sahen aus wie aus der sibirischen Taiga, kamen aber aus dem Amazonaswald. Man weiß heute, dass Tongefäße nicht von den ersten sesshaften Ackerbauern hergestellt wurden, sondern von den letzten Wildbeutern. Mein Buch „Die Kinder des Prometheus“ hätte ich nicht so geschrieben, wenn ich nicht zur Stiftung gekommen und mit dem Humboldt Forum befasst gewesen wäre, das hat meinen Horizont enorm geweitet.

Welchen Rat haben Sie heute an Jüngere, die Ihren Beruf lernen wollen und am Anfang ihrer Karriere stehen?

Dass man sich sehr genau beobachtet, ob man neben dem persönlichen Interesse an einem Beruf wirklich auch die nötigen Fähigkeiten und Begabungen mitbringt. Wenn man Archäologe werden will, braucht man ein Formengedächtnis und historisches Vorstellungsvermögen. Neben den Begabungen braucht es die Begeisterung für eine Sache, dann schaut man auch nicht ständig auf die Uhr, wann die Arbeitszeit um ist, so wird das nichts, wenn man nach Höherem strebt.

Wenn Sie es sich frei aussuchen dürften: Haben Sie noch einen Traumjob? Außer Ihrem heutigen natürlich.

Ich hatte meinen Traumjob. Das erfüllt mich mit großer Dankbarkeit. Es war Glück und Zufall, dass ich mich für dieses Studium entschieden habe. Dass ich dann diese Gestaltungsmöglichkeiten bekommen habe – was will man mehr? Ich freue mich jetzt auf die Zeit, die kommt, ich will noch einige Bücher schreiben, mit mehr Ruhe. Das ist für mich jetzt das Wichtige.

Wer wären Sie, wenn Sie beruflich nichts mit Kunst und Archäologie machen würden? Was würden Sie beruflich machen?

Ich wäre wahrscheinlich Jurist geworden. Darüber hatte ich anfangs nachgedacht, auch über ein Doppelstudium, Jura und Geschichte. Vielleicht wäre ich dabei in Restitutionsfragen gelandet, und der Kreis hätte sich geschlossen, wer weiß.

Wie schalten Sie am besten ab?

Beim Bücherschreiben. Und beim Sport natürlich. Und wenn ich mich mit meinen Enkeln beschäftige, das macht mir große Freude.

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