Der Fußboden ist ein im wahrsten Sinne tragender Teil der Wohnung. Bei seiner Gestaltung ist vieles möglich – vom Terrazzo bis zum Teppich. Folge 22 unserer Stilkolumne widmet sich dem kunstvollen Belag
ShareFür eine Kolumne ist Bodenständigkeit das A und O. Insofern freut uns, dass das heutige Thema eines ist, auf dem wir alle stehen: der Boden. Der Boden eines Raumes ordnet sich allem anderen unter. Zugleich trägt er die meisten Dinge: Sofas, Regale, Stühle, Betten, Haustiere, Säuglinge, Yoga-Matten und im besten Fall Bildhauerisches. Unseren Füßen wird sogar das begriffliche Privileg zuteil, den Boden als Fußboden näher zu bestimmen und etwas vom Kuchenboden, Dachboden, Mutterboden, Flaschenboden, Meeresboden oder Einlegeboden abzugrenzen. Auch kann man bei der Gestaltung des Fußbodens nicht vorsichtig genug sein, weil uns die Erdanziehungskraft dazu zwingt, ständig mit ihm in Kontakt zu sein. Böden sind an den meisten Haushaltsunfällen beteiligt, wenn nicht als Verursacher, dann spätestens beim Aufprall.
Eine Freundin von uns hatte den Auftrag, ein Altenpflegeheim in Hamburg auf Vordermann zu bringen. Das Erste, was sie tun musste, war die Böden der Flure komplett umzugestalten. Einige Bewohner der Residenz gingen auffällig ängstlich an der Wand die Gänge entlang. Offenbar hatte bisher niemand gemerkt, dass die dunklen Zierflächen auf dem Parkett von den Senioren als Schwarze Löcher empfunden wurden. Viel Erklärung half da wenig, ein wenig Teppich hingegen viel.
Teppiche sind also hilfreich. Ein Boden muss ohnehin viel ertragen, machen wir es ihm und uns also möglichst angenehm. Wir befürworten sogar Teppich im Bad. Immerhin finden wir den Teppich spätestens seit 2007 auf der Documenta. Roger M. Buergel hängte seinerzeit einen islamischen Gartenteppich von 1800 neben eine ausufernde Cosima-von-Bonin-Installation. Ein solcher Teppich bildet für gewöhnlich in der Mitte ein Wasserbecken ab und ist in kleinere Felder untergliedert, die von Ornamenten — Blumen und Bäume — umfasst sind. Er ist das erwachsene Äquivalent zum Straßen-Spielteppich aus dem Kinderzimmer.
Während er für unsere Großmütter noch ein Zeichen von bürgerlichem Luxus war und er in Berliner Bars, die in den 2000ern hängen geblieben sind, oft in „cleverer“ Resteverwertung zertrampelt wurde, möchten wir ihn im nahen Herbst anders sehen: Mit dem Orientteppich ist der Sommer nie vorbei. Ein Schmuckgarten im Wohnzimmer.
Unbedingt ernst zu nehmen ist allerdings der Hinweis darauf, was nichts auf dem Boden zu suchen hat: Gläser und Flaschen. Das sei als einzige kleinkniggerische Benimmregel für Partys, Lesungen und jugendliche Sit-ins (traditionell auf dem Boden stattfindend) festgehalten. Die Flasche Bier (Vernissage in Downtown), das Glas Champagner (Vernissage in Uptown), Rotwein (im Literaturhaus) und der Bacardi Breezer (Jugendzimmer) werden umkippen. Einer Person im Raum passiert das immer. Leichter hat es der Gastgeber solcher Chaoten, wenn sein Fußboden aus hartem Material ist: Terrazzo etwa wie im durch René Benko untergegangenen venezianischen Bauer Hotel; Mosaike wie im durch den Vesuv verschütteten Haus des Fauns aus dem 2. Jahrhundert vor Christus oder das Metall eines anständigen Dancefloors aus dem Jahr 1978 nach Christus.
Stahl, Zink, Aluminium und Kupfer waren so auch die bevorzugten Materialien Carl Andres, als er 1966 die erste begehbare Bodenskulptur schuf und gemeinsam mit Richard Long den Boden zum Thema in der Kunst machte. Vorher ging das nur abfällig: Hugo Ball hatte sich noch 1917 gefragt, ob die abstrakte Kunst und speziell die Bilder Wassily Kandinskys überhaupt noch von Teppichen zu unterscheiden seien. Dabei sehen wir gerade die Hohlkehle als Königsdisziplin der Bodengestaltung am Rande an: Von Installationskünstlern gleichermaßen geliebt, verbindet sie ohne Scheuerleiste den viel getretenen Boden mit der ehrwürdigen Wand. Unmöglich, ihn so unter den Füßen zu verlieren, man risse die Mauern mit den Abgrund.