Die Flower-Power-Kunst der Sixties hat die halluzinogene Wirkung von Pilzen in poppigen Bildern gefeiert. Heute werden psychedelische Drogen neu erforscht – und ihre Gefahren
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29.08.2023
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 217
Alles begann mit einer Fahrradfahrt. Im April 1943 stieg der Schweizer Chemiker Albert Hofmann auf sein Rad, um vom Labor nach Hause zu fahren, und erlebte Außergewöhnliches. „Alles in meinem Gesichtsfeld schwankte und war verzerrt wie in einem gekrümmten Spiegel. Auch hatte ich das Gefühl, mit dem Fahrrad nicht vom Fleck zu kommen.“ Zu Hause angekommen gingen diese merkwürdigen Wahrnehmungen weiter. In einem Protokoll notierte er später: „Jetzt begann ich allmählich, das unerhörte Farben- und Formenspiel zu genießen, das hinter meinen geschlossenen Augen andauerte. Kaleidoskopartig sich verändernd drangen bunte fantastische Gebilde auf mich ein, in Kreisen und Spiralen sich öffnend und wieder schließend, in Farbfontänen zersprühend, sich neu ordnend und kreuzend, in ständigem Fluss. Besonders merkwürdig war, wie alle akustischen Wahrnehmungen, etwa das Geräusch einer Türklinke oder eines vorbeifahrenden Autos, sich in optische Empfindungen verwandelten. Jeder Laut erzeugte ein in Form und Farbe entsprechendes, lebendig wechselndes Bild.“ Dem Erlebnis vorweggegangen waren jahrelange Arzneimittelstudien, bei denen er eigentlich auf der Suche nach einem Kreislaufmittel war. Stattdessen entdeckte er durch Zufall die Substanz Lysergsäurediethylamid, kurz LSD.
Die schwankende Fahrradfahrt war Teil von Hofmanns hochdosiertem Selbstversuch. Sein LSD-Fund sollte weitreichende gesellschaftliche Folgen haben.
Die Flower-Power-Ästhetik der Sixties, die heute in Kunst und Design zum Kanon gehört und immer neue Revivals erlebt, ist ohne Albert Hofmann ebenso wenig denkbar wie zahlreiche Strömungen der Pop- und Rockmusik, die sich grob unter dem Begriff „psychedelisch“ zusammenfassen lassen.
Weitaus gezielter als Hofmann hatte sich der amerikanische Privatgelehrte Robert Gordon Wasson mit seiner Frau Valentina Mitte des 20. Jahrhunderts der Erforschung halluzinogener Substanzen gewidmet. Ihrer beider Passion galt den Pilzen und ihrer Rolle in den verschiedenen Kulturen der Welt. Auf der Suche nach deren psychedelischer Wirkung führte sie die Spur nach Mexiko, wo Missionare schon im 16. Jahrhundert von schamanistischen Pilzritualen bei den Azteken berichtet hatten.
In den Jahrhunderten danach war das Wissen um die „magische“ Wirkung der mexikanischen Pilze in westlichen Ländern weitgehend unbekannt. Gab es sie wirklich? Auf mehreren Reisen fanden Wasson und seine Frau, was sie suchten. Mithilfe der mazatekischen Schamanin María Sabina gelang es ihnen, die Existenz der legendären „Magic Mushrooms“ zu beweisen. Nachdem Wasson selbst Mitte der 1950er-Jahre an einem dortigen Pilzritual teilgenommen und davon ausführlich im Life Magazine berichtet hatte, öffneten auch sie dem Drogen-Hype der späteren Hippiebewegung die Tür. Albert Hofmanns und Robert Wassons Wege kreuzten sich. Hofmann nahm die Pilze mit in sein Labor, und nach der Erfindung von LSD gelang es ihm nun auch, den Wirkstoff der mexikanischen Rauschpilze zu isolieren und zu synthetisieren. Sein Name ist Psilocybin.
Die Boomzeit von LSD und Psilocybin waren die 1950er- und 1960er-Jahre. In dieser Zeit entstanden nicht nur zahlreiche wissenschaftliche Studien zur Wirkung dieser Drogen, sie nahmen auch großen Einfluss auf die Popkultur. Der Psychologe und Harvard-Professor Timothy Leary propagierte in guruhaftem Stil den Konsum psychedelischer Drogen, was ihm auch Kritik vom LSD-Erfinder Albert Hofmann einbrachte, der auf die Gefahren hinwies. In der politisch aufgeladenen Atmosphäre der Vietnamproteste bezeichnete der damalige US-Präsident Richard Nixon Leary gar als „gefährlichsten Mann in Amerika“.
Vor allem in der Musik fanden die neuen Drogen ihren Widerhall. Die Psychedelic-Rock-Band Jefferson Airplane, die an der Westküste der USA zu Hause war, besang im Song „White Rabbit“ deren Wirkung in Metaphern aus „Alice im Wunderland“. San Francisco wurde zum Zentrum der neuen Hippiekultur und ihrer Liebe zur Bewusstseinserweiterung. Auch die Beatles öffneten sich der LSD-Erfahrung, ihr Song „Lucy in the Sky with Diamonds“ spielt mit den drei Buchstaben im Namen der Psychodroge.
Ende der 1960er-Jahre wurde LSD in den USA verboten, seit 1971 gibt es ein Übereinkommen der Vereinten Nationen über psychotrope Stoffe, unter das die Mehrzahl psychedelisch wirkender Mittel fällt. Damit kamen auch die meisten wissenschaftliche Studien in dem Bereich zum Erliegen. Doch seit den 2010er-Jahren ist wieder Bewegung in die Forschung gekommen.