Dirk Geuer über Heinz Mack

„Ich bin kein typischer Galerist“

Zur Venedig-Biennale zeigt die Biblioteca Nazionale Marciana am Markusplatz eine große Ausstellung mit Heinz Mack. Ein Gespräch mit dem Düsseldorfer Galeristen Dirk Geuer, der die Schau ermöglicht hat, über den Zero-Künstler und seinen Werdegang als Kunsthändler

Von Ingeborg Harms
08.06.2022

Ihre Eltern haben sich als Kunsthändler auf die klassische Moderne konzentriert. Was hat Ihnen das bedeutet?

Meine Eltern waren glühende Anhänger dieser Kunstrichtung. Sie sind in Ateliers ein- und ausgegangen, waren drei, vier Mal im Jahr in Paris, und ich durfte dabei sein, ohne zu wissen, wie bedeutsam das war. Das hat mich früh geprägt, auch wenn es mich am Anfang genervt hat, weil ich spielen und am Strand sein wollte. Mit siebzehn habe ich meine eigene Position gesucht, ich wollte mit lebenden Künstlern meiner Zeit arbeiten und habe mich früh für das Werk von Jörg Immendorff interessiert. Mein Vater wusste, dass er mich nicht in seiner Galerie halten kann.

Sie hatten schon bei ihm angefangen?

Ich war schon in den Einkauf, die Ausstellung und Vermittlung von Kunst involviert. Im Grunde habe ich so eine klassische Lehre gemacht. Mein Vater sagte, Kunsthistoriker kannst du einkaufen, aber du musst dich mit der Materie auseinandersetzen. Deshalb habe ich Handwerks- und Industriebuchbinder gelernt, Rahmendesign, die Restauration von Gemälden und Skulpturen. Die Materialien der Künstler sind mir extrem vertraut. Der Tipp meines Vaters war für die Galeristenarbeit Gold wert.

Welche Rolle spielte Ihre Mutter?

Mein Vater hat mich immer ermutigt. Und meine Mutter war die treibende Kraft, die den Kontakt zu Künstlern ermöglicht hat. Sie war der Klebstoff der Familie, die Muse. In den Räumen meiner Eltern hingen Picasso, Miro, Chagall. Es war alles da, was Rang und Namen hat. Wenn ich in der Schule davon erzählt habe, wurde ich für einen Schwätzer gehalten. Ich durfte wie in einem Museum groß werden. Alle drei, vier Monate haben meine Eltern unsere Petersburger Hängung umgestaltet.

Dirk Geuer Heinz Mack
Dirk Geuer und Heinz Mack. © Geuer & Geuer

Stimmt es, dass Sie Kunsthändler in der dritten Generation sind?

Ja, es gab auch schon eine Großtante, die Tizian nach Japan vermittelt und irgendwann einen Frans Hals entdeckt hat. Ich durfte meiner Tante in den großen Freizolllagern dieser Welt über die Schulter schauen. In einem Raum war der Monet, im anderen der Cezanne, der van Gogh. Das kannte ich nicht, dass man solchen Bildern im Verkauf so nah begegnen kann. Das ist eine ganz spezielle Welt.

Was hat Sie zur Selbständigkeit motiviert?

Der entscheidende Moment war, dass ich mit Arbeiten von Jörg Immendorff zu meinem Vater kam. Ich hatte sie im Sekundärmarkt gekauft. Mich hat seine Vision vom vereinten Deutschland fasziniert. Wie jemand die Geschichte vorwegarbeitet. Er war hochgradig charismatisch, wenn Immendorff irgendwo hereinkam, war er der Mittelpunkt. Er wird bis heute kontrovers diskutiert, auch zurecht.

Die Neue Sachlichkeit in der Fotografie fand direkt im Ruhrgebiet statt. Hat Sie auch die Becher-Schule interessiert?

Wenn ich eines gelernt habe, dann strukturiert zu sein, Bodenhaftung zu behalten und ein Ziel zu verfolgen. Das hat sich bewährt, nach Jörg Immendorff kam es zum Erstkontakt mit Heinz Mack. Auch hier ging es über die Grafik. Dann kamen Christo und Jean-Claude.

Haben Sie die beiden auch angesprochen?

Ja, wie alle Künstler. Ute Mack zum Beispiel habe ich mit einer Ausstellungsidee angerufen. Ich war vorbereitet, kannte mich mit den Werken aus, wusste, wo ich den Schwerpunkt legen wollte. Die meisten Künstler haben ihre Zyklen mit Grafik begleitet. Warum sollten die so viel weniger wert sein? Gerade in diesen Zeichnungen auf Papier liegt das Unmittelbare, purer Ausdruck. Sie sind der Ursprung einer gewissen Wahrheit, aus der das Werk entsteht. Die Grafik ist auch so etwas wie die Visitenkarte eines Künstlers, mit der ich mich als Galerist in der Welt vorstellen kann.

Wie verlief Ihr Kennenlernen mit Heinz Mack?

Er hat früh an mich geglaubt. Die Familie Mack ist ein starker, sich selbst beschützender Kosmos. Ich habe auch gemerkt, dass es oben, bei den renommierten Künstlern, sehr dünn wird.

Wie meinen Sie das?

Man wird bekämpft, man wird richtig attackiert. Im Kunstmarkt braucht man Ellbogen und Hornhaut.

Wie regeneriert sich eine zeitgenössische Galerie?

Inzwischen bekomme ich locker fünf, sechsmal die Woche Mappen junger Künstler, erhalte Informationen. Ich gucke mir alles an, das Werk muss mich ansprechen. Aber meine Zeit ist begrenzt. Ich bin häufig von jungen Menschen enttäuscht worden, die nicht verstehen, was man für sie getan hat. Ich sehe das auch als Reaktion darauf, dass die Messen und Galerien mittlerweile selbst versuchen, den Nimbus zu übernehmen.

Gibt es auch in Ihrer Galerie diese Tendenz?

Ich bin kein typischer Galerist, will ich nicht sein. Trotzdem habe ich eine Galerie und sage, wir haben es auch nicht leicht. Wenn wir irgendwo in der Welt Ausstellungen organisieren, sind die Kosten immens. Aber wenn ich Heinz Mack im Senegal ausstelle, dann geht es mir nicht darum zu verkaufen. Eine andere Sache ist, was man später hier Deutschland daraus macht oder mit weiteren Kontakten, die sich ergeben. Aber erst einmal sehe ich eine Ausstellung aus einer künstlerischen Notwendigkeit: Heinz Mack an einen Ort zurückzubringen, wo er vor vielen Jahren Großartiges vollbracht hat. Ich habe das Projekt mit seiner Tochter entwickelt. Wir wollten die Werke ihres Vaters der afrikanischen Stammeskunst, die er von dort mitgebracht hatte, gegenüberstellen, weil sie ihn als Künstler inspirierte. Das hat Heinz Mack begeistert. Sie können nie in die Seele eines Künstlers schauen, wenn Sie nur An- und Verkauf im Kopf haben. Wenn Sie mit Künstlern reisen, Projekte entwickeln, an Hindernissen leiden, dann verbindet das ganz anders.

Fließen diese Erfahrungen auch ins Kundengespräch ein?

Daran glaube ich. Ein Kunstwerk, dessen Künstler ich nicht kenne, könnte ich nicht auf dieselbe Art vermitteln. Ich bekomme ja Geschichten mit. Wenn Sie Tage mit Christo und Jeanne-Claude verbringen, dann ergibt sich so viel, was ein Händler im An- und Verkauf nie erfahren würde.

Wie ist es zur Zusammenarbeit mit Julian Schnabel gekommen?

Das ist eine schöne Geschichte. Das Allerwichtigste sind Beziehungen und Kontakte und, dass man fair miteinander umgeht. Mein Vater sagte, wenn du wie eine Biene von Blüte zu Blüte fliegst, kannst du das Ganze vergessen. Sei konstant und aufrichtig, beteilige andere immer anständig, dann wirst du langfristig Spaß mit ihnen haben. Und wenn du siehst, dass es bei ihnen in einer Einbahnstraße endet, dann trenn dich. Dann werden sie dich immer ausnutzen. Zwei Geschäftspartner haben mich radikal abgezockt. So habe ich die gesamte grafische Sammlung Immendorffs verloren. Aber daran wächst man auch. Mein Vater sagte damals: Du hast alles durch deine Kreativität aufgebaut, das bleibt dir alles. Schau nach vorne und mach so weiter.

Haben Sie danach weniger vertraut?

Vertrauen ist auch eine positive Eigenschaft. Wer es missbraucht, versaut sein eigenes Karma. Als ich das begriffen hatte, habe ich mich nicht mehr für mein Vertrauen entschuldigt.

Was sind aktuelle Projekte?

Es wird mit Heinz Mack und Tony Cragg großartige Ausstellungen geben.

Können Sie die Vorbereitung eines Künstlers auf so eine Ausstellung mitverfolgen und vielleicht sogar Vorschläge machen?

Valeria Mack und ihr Vater sind intensiv mit dem Ausstellungsort befasst. Ich kuratiere die Ausstellung nicht selbst, das machen er und seine Tochter. Sie hat einen unfassbaren Blick auf das Werk. Ich weiß, wie schwer es ist, anhand eines Plans eine Ausstellung zu organisieren.

Im vergangenen Jahr haben Sie Heinz Macks Collagen ausgestellt.

Das war ein Schatz, den wir heben durften. Die sind noch nie zu sehen gewesen. Mir war es wichtig, dass es dazu ein Interview zwischen Tochter und Vater gibt, das auch im Katalog ist. In meiner Galerie sind alle, mit denen wir arbeiten durften, Julian Schnabel, David LaChapelle, Dokoupil auch immer zur Eröffnung gekommen.

Sie scheinen unter den Künstlern die Diven zu bevorzugen.

Das stimmt! Ich mag starke Charaktere. Auf die kann ich mich verlassen. Mein Vater war auch ein Alphatier. Und Julian Schnabel ist für mich ein Alpha-Alpha. Ich hatte herausgefunden, dass er 16 Jahre lang keine Grafik gemacht hat, und hatte die Idee, ihm zu sagen: Julian, es wird Zeit, dass du an der Grafik arbeitest. Ich würde gerne für alle Jahre, die du versäumt hast, eine Grafik nachproduzieren. Das fand er toll. Es ist dann bei meinen Künstlern nie bei Grafik geblieben, wobei ich die Regeln kenne und beherzige. Jeder Künstler bekommt immer bei mir sein Geld sofort. Die Julian Schnabel-Reihe mit 16 Editionen war ein Investment, vor allem nach der Trennung von meinem Partner, als ich neue Galerieräume aufbauen musste. Und das war irre. Ich hatte immer schon diese Räume an der Heinrich-Heine-Allee in Düsseldorf gewollt, und immer war ein Galerist drin. Genau in diesem Moment, wo ich mich komplett neu finden muss, werden die Räume frei. Meine Frau hat sie bei Immobilienscout 24 an einem Samstagmorgen gefunden. Wir haben uns sofort getroffen, und ich habe die Sache auf 12 Jahre festgemacht.

Ist Ihre Frau an der Galerie beteiligt?

Wir haben damals zusammen angefangen, deshalb heißen wir auch Geuer & Geuer. Der Christo-Kurator, der die Reichstagsausstellung nach Berlin geholt hat, wusste, was ich in meinem Leben abgekriegt habe. Der sagte, weiß du was, dann manifestiere das auch im Namen. Meine Frau und ich halten uns gegenseitig den Rücken frei.

Wie wichtig ist Glamour für eine Galerie?

Mich interessiert Glamour überhaupt nicht, aus dem privaten Leben der Künstler habe ich mich immer rausgehalten. Das heißt, ich nutze es nicht für mich. Ich komme gerade aus Dubai zurück, da ging mir Glamour furchtbar auf die Nerven. Ich habe viele Künstler durch ihn stolpern sehen.

Ist es kein Problem, mit den beiden „Zero“-Gründern Mack und Uecker gleichzeitig zu arbeiten?

Das ist ganz einfach, weil Uecker auf seiner Ebene eine großartige Position hat, und Mack auf seiner. Die darf man nur nicht vermengen.

Was bedeutet das?

Sie haben die Zero-Position für einige Jahre gemeinsam zum Ausdruck gebracht und danach jeder für sich deutsche Kunstgeschichte für die Welt geschrieben.

Planen Sie weitere Projekte mit Günter Uecker?

Alle Künstler haben in dieser Covid-Zeit eine noch größere Einsamkeit erfahren. Sie merken auch, wie Gefährten plötzlich weg sind, Otto Piene, der dritte „Zero“-Gründer, der auf dem Weg zu einer Ausstellung im Taxi starb. Beim letzten Besuch bei Uecker wurde sehr deutlich, dass er nur noch schauen will, dass das für ihn Wichtige entsteht. Ideen erreichen ihn im Moment nicht, weil er total auf eine Sache fokussiert ist. Immendorff sagte das so schön: Er sei immer auf der Suche nach dem Bild der Bilder gewesen.

Vertreten Sie Günter Uecker allein durch die Grafik?

Nein. Aber er hat mich so lange mit sich arbeiten lassen, weil ich nie die Frage nach einem Unikat gestellt habe. Ich durfte im Zusammenhang mit vielen Ausstellungsprojekten Editionen mit ihm machen, auch “Works on Paper” mit ihm und seinem Kurator, das war damals meine Idee. Dann bekam ich innerhalb kürzester Zeit die Chance, in China eine Ausstellung zu organisieren. Das war auch ein Wahnsinn. Uecker hat uns seine ganzen Reiseaquarelle mitgegeben, eine Art Reisetagebuch in gezeichneter Form.

Wie kam es überhaupt zu der Ausstellung in China?

Wir saßen in Halle in einem Restaurant zusammen. Ich habe Herrn Uecker die Frage gestellt, wo er denn noch nicht gewesen sei. Was mich interessieren würde, sagte er, ist China, als Land, Mentalität und auch als Begegnung. Er nannte auch Kuba und den Iran, und in allen drei Ländern habe ich Ausstellungen organisiert. Wir waren in Kuba, als Fidel Castro noch lebte, im Iran noch unter Ahmadinedschad. „Die Verletzung des Menschen durch den Menschen“ war der Titel. Alle sagten, damit kriegst du das niemals hin. Und als wir im Iran erstmals mit dem Direktor des Nationalmuseums gesprochen haben, sagte er: Das ist wirklich wichtig, dann zeigen wir der Welt, was die amerikanische Haltung mit uns anstellt. Uecker hat mich seinen Marco Polo für Museen genannt.

Sind Künstler Egomanen?

Zum Teil schon, aber von den Egomanen habe ich mich getrennt. Denn dann wird es sehr anstrengend. Der Künstler muss eine eigene Handschrift haben, aber die wirklich Großen wissen, dass der Erfolg immer der Erfolg eines Teams ist, das an das Gleiche glaubt. Narzißmus ist eher hinderlich, die schlimmste Versuchung ist, sich über alles zu stellen. Bei Mack gibt es die pure Leidenschaft, der Schönheit ein Gesicht zu geben. Er ist schwer angefeindet worden, weil er Schönheit in einer Zeit verkörpert hat, die sie verpönte. Es musste politisch sein. Das Problem musste sichtbar gemacht werden. Ich finde, wenn wir die Kunst nicht hätten, wären wir ein armes Volk. Sie ist ein Grundnahrungsmittel. Ich selbst habe viele Angriffe erlebt, aber ich möchte nie etwas anderes machen. Das Miteinander gehört zu den unfassbar schönen Seiten meines Berufs, Dankbarkeit, etwas zu erreichen.

Haben Sie je mit Heinz Mack über Christo gesprochen?

Die Künstler bleiben sehr gern bei ihrem eigenen Thema. Christo und Jeanne-Claude sagten immer: Wir reden nicht über Politik, Religion und andere Künstler.

Wie unterscheiden Sie Visionäre und Angeber?

Visionäre sind ja Künstler. Ihnen gegenüber braucht man ein Gespür dafür, was Utopie und Wirklichkeit ist oder werden kann. Inzwischen weiß ich, welche Hebel man bewegen muss, um verrückte Projekte Wirklichkeit werden zu lassen. Denken Sie an Christo und Jeanne-Claude. Das waren doch unrealistische Projekte, auch die „Gates“, an denen ich teilweise intensiv mitmachen durfte. Sie haben sich weder finanzieren noch fördern lassen. Jeanne-Claude war für mich ein kleiner Schutzmantel, denn auch um Christo herum gab es Menschen, die ich nicht brauchte. Mich wundert manchmal, dass Künstler das akzeptieren und tolerieren. Da herrscht ein unfassbares Wegbeißen. Aber ich habe mich nie abwimmeln lassen.

Service

Ausstellung

„Heinz Mack – Vibration of Light / Vibrazione della luce“,

Biblioteca Nazionale Marciana, Venedig,

bis 17. Juli

geuer-geuer-art.de

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