Reisetipp

Im Vogelparadies

Die Liebe zum Kranich brachte Bettina Klein nach Vorpommern. Ihr zauberhafter Mix aus Kunstmuseum und Hotel steht im Zeichen des Glücksboten

Von Christiane Meixner
25.05.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 197

Ein Gast war schon da, als Bettina Klein 1998 das Herrenhaus in Vorpommern kaufte. Er hatte sich eingenistet, nagte an der Substanz und hätte das historische Gebäude beinahe zugrunde gerichtet – nur kannte er die Beharrlichkeit der neuen Besitzerin, die Ferienzimmer in die halbe Ruine zaubern wollte, noch nicht. Doch ohne den Hausschwamm wäre das Kranich Museum & Hotel wohl auch nicht das Kleinod, das es schließlich geworden ist. Oder noch immer wird, denn Klein formt und plant beständig weiter am Gutshof Hessenburg.

Letzteres ist offensichtlich, könnte man angesichts der unverputzten Wände meinen, wo graue Ytong-Steine zwischen alten Klinkern klemmen. Wo Tapetenreste kleben, die jemand zu entfernen vergessen hat. Ihre Muster sind fern jeder Mode. Hingen sie schon, als hier die adelige Familie von Hesse residierte? Diese erwarb das ehemalige Rittergut Schlichtemühl 1786, baute im 19. Jahrhundert ein eigenes Haus, bewirtschaftete das weitläufige Grundstück mit Scheunen und Waldbestand und gab es erst 1945 auf. Vielleicht kamen die Tapeten aber auch mit jenen Kindern, die nach dem Krieg bis zum Einzug eines „Konsum“-Marktes in den Räumen betreut wurden? Wer sich Fragen wie diese stellt, den hat die Museums- und Hoteldirektorin bereits eingefangen. Und beginnt zu ahnen, worum es ihr geht: Sie nimmt ihre Gäste mit in die Vergangenheit, lässt sie teilhaben an der gelebten Geschichte, die sich in den Mauern eingenistet hat. Dieses Haus scheint zu atmen. Aus allen Winkeln wispert Vergangenes und manchmal Fantastisches, und beides wohnt selbst in den Dingen, mit denen der Ort von Bettina Klein in den vergangenen Jahren sukzessive ausgestattet worden ist. Dazu gehört auch die Kunst.

Bettina Klein Kranich Hotel Museum
Die Sanierung und den Ausbau des Kranich Museums & Hotels hat sich Bettina Klein zur Aufgabe gemacht. © Burkhardt Thomann

Draußen über dem Teich zerstiebt Wasser. Es bildet einen fragilen Rahmen und produziert im selben Moment Nebel, der den Park dahinter verschwimmen lässt. Die Installation stammt von Alex Schweder, der eine zentrale Rolle in der Genese des Kranich Museums & Hotels spielt – auch als Kurator für die Jahre 2022 und 2023. Sobald es dunkel wird, sieht man auch jenes Licht, das Riccardo Giacconi aus dem runden Dachfenster des Herrenhauses über die norddeutschen Äcker schickt. Ein Strahl, der sich im Nichts verliert. „Gegenbild“ heißt Giacconis Installation, sie erinnert an einen funktionslosen Leuchtturm, dessen Scheinwerfer statt über das Meer durch ein stilles Land streift.

Drinnen setzt sich die Ausstellung fort. Schon im dämmrigen Entree, wo bewegte Bilder über die, natürlich unverputzten, Wände flimmern. Eine Erzählung in Fragmenten: Man sieht die Künstlerin Emma Waltraud Howes im Kranichkostüm über die nahen Felder stromern, wo sie versucht, sich den großen, schönen Vögeln anzunähern, die dort zweimal im Jahr auf ihren Flügen zwischen Schweden und Spanien rasten. Die Requisiten des Experiments – Gummistiefel, ein weißes Hemd und zwei lange Handschuhe mit Vogelköpfen an den Enden – hängen ein Stockwerk höher im offiziellen Kranich Museum und bilden die Arbeit „Kranicherziehungskostüm“. Doch die Videoprojektion „Du tust mir nichts zuleide“, in die unwillkürlich eintaucht, wer seinen Zimmerschlüssel aus dem „Safe“ genannten Briefkasten geholt hat und das Haus betritt, macht ungleich anschaulicher, wie innig Hotelbetrieb und Kunst ineinander verwoben sind. Als im Jahr 2012 das Kranich Museum eröffnete, gab es auf dem Grundstück gerade einmal ein Apartment neben der zu einem Restaurant umfunktionierten ehemaligen Schmiede. Heute gibt es im Gutshaus sechs Zimmer, zwei Atelierwohnungen unterm Dach und im ehemaligen Eishaus der Familie Hesse zwei weitere Apartments.

Kranich Hotel Museum Schiefergrau Nicole Schuck
Die Kunst ist allgegenwärtig im Haus. Atmosphärisch stimmt einen bereits im Entree eine Videoinstallation von Emma Waltraud Howes auf das Museum ein, wo sich Arbeiten wie „Schiefergrau“ von Nicole Schuck finden. © Alex Schweder

Doch die Kunst war zuerst da. Im Haus selbst konnte man noch gar nicht wohnen, wegen des hungrigen Schwammes musste es fast komplett entkernt werden. „Es bröselte einfach weg“, erinnert sich Bettina Klein. Die Freilegung der Wände, Balken und hölzernen Böden sei aus der Not entstanden. Ihre Pläne stellte das auf den Kopf. So viele Ferienwohnungen wie möglich habe sie ursprünglich ins Haus „ballern“ wollen, sagt sie, und man erschrickt ein bisschen bei dem Gedanken, sich die feinsinnige Kunsthistorikerin, die zwei Jahrzehnte in Japan gelebt und später in ihrer Galerie im Taunus mit Ming-Möbeln und alten japanischen Rollbildern gehandelt hat, als knallharte Saniererin vorzustellen. Vielleicht unterstreicht Klein mit diesem Wort aber nur noch einmal die Kluft zwischen ihren Ideen von damals, als sie den Gutshof mehr auf Initiative eines Freundes während einer Auktion erstand, und dem Gesamtkunstwerk von heute, das erfolgreich Touristen ins ländliche Vorpommern lockt. Menschen, die den Charme der offenen Architektur ebenso lieben wie die Ruhe und Weite der Landschaft; die eine kurze Strecke bis zum nahen Bodden – oder eine etwas längere an die Ostsee Richtung Darß und Ahrenshoop – in Kauf nehmen, um die Nächte in einem Museum zu verbringen. Das Frühstück holt man sich ins Zimmer oder geht damit ins Grün ums Haus, das seit 2010 von der Landschaftsarchitektin Ludivine Gragy nach historischen wie ökologischen Kriterien liebevoll umgestaltet wird.

Anfangs, sagt Bettina Klein, wäre auf jeden Fall eine Modernisierung herausgekommen, an die Vergangenheit hätte mehr oder weniger nur die Fassade erinnert. Lediglich das Museum hatte sie immer fest eingeplant. Eines mit alter japanischer Kunst, die deutlich machen sollte, wie tief der Kranich in der asiatischen Kultur wurzelt. Dort gilt er als Symbol für ein langes, glückliches Leben, während die echten Vögel auf ihrer Durchreise in der Umgebung von Hessenburg die für sie essenziellen Feuchtgebiete finden.

Nach der – in der denkmalgeschützten Substanz besonders aufwendigen – Entkernung dachte Klein dann über ihre neue Situation nach. Wie sich das Haus langsam mit vielen Ideen und einem immer mal wieder schmalen Etat entwickeln ließe. Irgendwann stand, gemeinsam mit ihrem in Berlin lebenden Sohn Clemens, der amerikanische Performance-Künstler und Architekt Alex Schweder vor der Tür. „Eine vollkommen exotische Gestalt kam zum Sonntagsbüfett“, erinnert sie sich. Er habe in dem ruinösen Haus gestanden, in dem noch Kamine frei von der Decke hingen. „Ein absoluter Zwischenzustand.“ Dennoch habe Schweder nur gemeint: „Leave it as it is!“

Kranich Hotel Museum
In den Zimmern des Herrenhauses kann man bereits übernachten. © Philipp Obkircher

Alles so lassen? „Oh Gott, wieder so ein Künstler“, war Kleins erste Reaktion. Doch der sei geradezu elektrisiert von der Idee gewesen, das Prozesshafte des Gebäudes sichtbar zu machen. „Dann hat er gemerkt, dass ich mitgehe.“ Was auch daran lag, dass der Hausherrin Schweders Installationen und sogenannten Inflatables, mit Luft gefüllte Skulpturen, extrem gut gefielen.

Im Kranich Museum begegnet man seiner Arbeit „Slowly Ceiling“. Sie belegt einen ganzen Raum, war 2013 auf der Architektur-Triennale in Lissabon ausgestellt, und tut so, als stünden zwei identische Sofas in einiger Distanz auf einem schwarzen Teppich. Darunter aber wirkt ein Mechanismus, der die Möbel langsam zusammenbringt: Der Teppich bläht sich auf, bewegt die Sofas und lässt sie kippen, bis ihre Rückseiten zum gemeinsamen Bett werden. Daneben finden sich Werke von Tamara Friebel, Andy Graydon oder vom Duo Hadley + Maxwell. Regelmäßig machen sich Künstlerinnen und Künstler – aktuell die Klangexpertin, Musikkuratorin und DJane Mieko Suzuki – von Berlin aus nach Gut Hessenburg auf, um in einem der beiden Ateliers über ihr Verhältnis zum Kranich nachzudenken.

Kranich Hotel Museum
Auch die einstige Schmiede wurde bereits revitalisiert. © Philipp Obkircher

„Schiefergrau“ heißt die Bodenzeichnung, die Nicole Schuck 2013 während ihres Stipendiums für die Museumshalle entwickelt hat. Dafür überlagerte sie das monumentale Motiv eines Kranichs mit dem Wegenetz von Hessenburg. Dessen Historie wird in den historischen Karten, Dokumenten und Fotoalben der Familie von Hesse wach, die Bettina Klein im Gutshaus aufbewahrt. Und je mehr sie sich mit der Vergangenheit vor Ort beschäftigt, desto klarer manifestieren sich ihre Visionen für die Zukunft. So installieren im Park aktuell Ana Filipović und Philipp Mecke einen Sound-Irrgarten. Die Japanerin Ryoko Hori kreiert einen Duft für den Gutshof, dessen architektonisches Ensemble sukzessive revitalisiert wird. Und mit den jüngst erworbenen Grundstücken, die ehemals zum Gut gehörten, hat sich Bettina Klein als Außenstandort für die BUGA Rostock 2025 beworben. Ihr Plan: Sie wird sie der Natur ein Stück weit zurückgeben.

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