Ausstellungen

Das Glücksrad des Naum Slutzky

Nach Jahrzehnten tauchte ein bedeutendes Schmuckstück des Bauhaus-Meisters Naum Slutzky wieder auf. Die Neue Sammlung konnte es erwerben.

Von Annegret Erhard
08.11.2016

Bauhaus steht für Architektur, für materialgerechte und sachliche Gestaltung von Gebrauchsgerät, für das Bestreben, die Grenzen zwischen bildender und angewandter Kunst aufzuheben. Bauhaus ist Reduktion und Funktionalität. Schmuck ist nicht funktional. Ihm wandte man sich in der Hochschule für neues Bauen, Sehen und Denken, die hochfliegenden Prinzipien wahrend, nur sehr eingeschränkt zu. Obendrein wäre es im wirtschaftlich prekären Deutschland der Zwanzigerjahre kaum möglich gewesen, mit den hochwertigen Art-déco-Kreationen der französischen und italienischen Goldschmiede mitzuhalten. Umso interessanter sind die wenigen Belege aus der Bauhaus-Schule.

Es gab lediglich eine der Metallwerkstatt angegliederte „Werkstatt für Edelmetallarbeiten (Schmuck)“, deren „Hilfsmeister“ ab 1919 der 1894 in Kiew geborene Naum Slutzky war. Seine Familie – der Vater war Goldschmied in Diensten von Fabergé – war wegen der ukrainischen Judenpogrome 1905 nach Wien geflohen. 1912/13 gestaltete der inzwischen gelernte Goldschmied Schmuckstücke für die Wiener Werkstätte nach Vorlagen von Josef Hoffmann und Carl Otto Czeschka. Später sagte Slutzky, er habe bildende Künste und Ingenieurwesen studiert. Gesichert ist, dass er Johannes Ittens private Kunstschule besucht hat und ihm 1919 an das Bauhaus nach Weimar gefolgt ist.

Anders als bei der Wiener Werkstätte, wo eine strikte Trennung von Entwurf und Ausführung angestrebt wurde, verfolgte man am Bauhaus die Ideale einer Verschmelzung von künstlerischer Idee und handwerklicher Ausführung. Itten orchestrierte diese Maßgabe mit einer reichlichen Portion Mystik und Kosmologie. In seinem Unterricht und Vorkurs propagierte er die „Sinnesentwicklung, Steigerung der Denkfähigkeit und des seelischen Erlebens, Lockerung und Durchbildung der körperlichen Organe und Funktionen“. De ­facto waren das Atemübungen, Vegetarismus und Selbstzucht nach den damals in überspannten Kreisen angesagten Mazdaznan-Regeln. Später in Dessau – da waren Itten und Slutzky nicht mehr dabei – ging es im Bauhaus, fernab von jedweder Verklärung, weit mehr um die Eignung anspruchsvoller Entwürfe für eine industrielle Serienfertigung.

1922 absolvierte Slutzky die Meisterprüfung bei der Handwerkskammer in Weimar; in seiner Werkstatt am Bauhaus fertigte er Unikate und Prototypen von metallenem Tischgerät, aber auch Ringe und Anhänger. Seine Materialverknüpfungen sind ungewöhnlich und entsprechen dem avantgar­distischen Impetus, dass der Wert eines Schmuckstücks nicht am Wert des Materials zu messen ist. Im Vordergrund steht bei Slutzky eine originäre Gestaltung, basierend auf dem Zusammenspiel unterschiedlichster, auch unedler Werkstoffe wie Holz oder Elfenbein. Der Grundtypus seiner skulptural anmutenden Anhänger besteht aus konzentrischen Ringen in deren Zentrum ein Stein sitzt. Am liebsten war Slutzky, wenn er die Person, für die das Stück gedacht war, kannte und ihre Ausstrahlung vor Augen hatte.

So entstanden hauptsächlich Unikate, die häufig verschollen und bestenfalls aus der Literatur bekannt sind. Wie der schöne Rundscheibenanhänger, der 2008 überraschend bei „Kunst und Krempel“ auftauchte. Josef Straßer, Oberkonservator der Neuen Sammlung, dem weltältesten Designmuseum, und Experte der langlebigen und ziemlich kultigen Sendung des Bayerischen Rundfunks, identifizierte die aus Rosenholz- und Elfenbeinringen zusammengefügte Rarität. Ihr Herzstück ist ein Zitrin, umfasst von silbernen, sternförmig strahlenden Speichen, die Anhängerkordel führt über einen winzigen, auf der Rundscheibe aufgesetzten Sternkreis. Slutzky hatte das Stück 1923 der Bauhausschülerin Else Hopf, geb. Kleinwort, geschenkt, wie deren Sohn in der Sendung berichtete. An einen Verkauf wurde damals noch nicht gedacht, erst Ende 2015 kam es in eine Auktion bei Quittenbaum in München.

Und stellte mit einer Taxe von 40.000 Euro eine kaum zu stemmende Herausforderung für Die Neue Sammlung dar, für die der Ankauf in mehrfacher Hinsicht, wie ­Josef Straßer sagt, erstrebenswert war: „Zum einen hat Die Neue Sammlung beim Bauhaus in Dessau wohl als eines der ersten Museen überhaupt Objekte etwa von Anni Albers und Ludwig Hirschfeld-Mack erworben; hier fügt sich das Schmuckstück in Qualität und Bedeutung nahtlos ein. Hinzu kommt, dass der Anhänger mit seinen einfachen Materialien, seinem Verzicht auf Materialwert, seiner Betonung formaler und ästhetischer Aspekte am Anfang einer Umwertung des Schmuckbegriffs steht und damit ein Bindeglied sowohl zum modernen Autorenschmuck bildet, einem wichtigen Bereich unseres Hauses, als auch zu den späteren Entwicklungen, die mithilfe der Danner-Stiftung bei uns vertreten sind.“ Der Wunsch war groß und begründet; das Budget gab’s zwar nicht her, aber als der Hammer bei 35.000 Euro fiel, hatte die Ernst von Siemens Kunststiftung rasches Handeln ermöglicht.

1924 verließ Slutzky das Bauhaus. Er war dort stets als „isolierte Erscheinung“ wahrgenommen worden. Dass sich das Experimentier- und Forschungsinstitut zur Hochschule für Industriedesign entwickelte, behagte ihm nicht. Über Wien und Berlin kam er nach Hamburg, arbeitete selbstständig und kommerziell ausgerichtet als Innenarchitekt und Designer, entwarf Leuchten, experimentierte mit unedlen Werkstoffen, beschäftigte sich mit technischen Produktionsverfahren. Er war, wiewohl ein miserabler Geschäftsmann, offenbar ein Mann von ungebrochener Energie. Max Sauerlandt, Direktor des Museums für Kunst und Gewerbe, förderte ihn trotz aller Vorbehalte. „Schwierig ist, dass er bei all seinem künstlerischen Können (…) in allen geschäftlichen Dingen von einer mehr als kindlichen Unbefangenheit und Unzuverlässigkeit ist“, charakterisierte er ihn in einem Empfehlungsschreiben. 

1930 emigrierte Slutzky, verarmt und desaströs gescheitert – seine Gönner aus dem jüdischen Bürgertum Hamburgs hatten das Firmenfiasko nicht vermeiden können –, nach England, wo er bis zu seinem Tod 1965 an verschiedenen Hochschulen als Lehrer für Schmuck-, Möbel- und Industriedesign tätig war. Zuletzt leitete er das Segment Industrial Design am College of Arts and Crafts in Birmingham. Laut Kollegenurteil galt er als „eigenwillig, als Perfektionist und enthusiastischer Lehrer“, wie Monika Rudolph in ihrer 1990 erschienenen Publikation zu Leben und Werk des unkonventionellen, dabei sehr selbstbewussten Künstlers schreibt.

Zu Slutzkys lebenslangen Maximen gehörte, dass der Gegenstand immer aus seinem Material heraus entwickelt werden muss, dass der geistige Schöpfungsakt des Entwurfs bedeutender ist als die Ausführung. Seine Schüler ließ er Gegenstände in einem anderen Material kopieren, wodurch die Beobachtung, das Bewusstsein für Details, Funktion und Anmutung, für die Wechselwirkung der Bestandteile geschärft werden sollte. Auf seine spezielle Weise transferierte er so die Prinzipien vom Bauhaus in die Lehre der englischen Designschulen.

Service

Abbildung ganz oben:

Naum Slutzky schuf 1923 am Weimarer Bauhaus den Anhänger aus Rosenholz, Elfenbein, Silber und Zitrin. Seit Kurzem ist das avantgardistische Schmuckstück in der Neuen Sammlung in der Pinakothek der Moderne ausgestellt

(Foto: Die Neue Sammlung – The Design Museum)

Dieser Beitrag erschien in

WELTKUNST Nr. 121/2016

Zur Startseite