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Die geheime Geliebte

Bevor Christian Dior die Mode revolutionierte, war er Galerist. Doch Kunst blieb seine Leidenschaft und inspirierte seine Entwürfe. Am 20. Juni versteigerte Artcurial einige dieser Kreationen aus verschiedenen Dior-Sammlungen.

Von J. Emil Sennewald
19.06.2017

Ein Skandal seien diese steifen Kleider, schimpfte 1954 Coco Chanel, zu voluminös, um in einen Koffer zu passen. Da war Christian Dior bereits sieben Jahre für seinen „New Look“ gefeiert, für sein „Modediktat“ kritisiert worden. Der zurückhaltende Mann hatte mit der Glockenlinie, weit schwingende Röcke um enge Taille, die Mode revolutioniert. Jährlich neu formte er – mit Maiglöckchen-, A- oder Y-Linie – das Frauenbild seiner Zeit. Das war weder praktisch noch emanzipiert. Dior sublimierte die Lust am Weiblichen in Linien und Farben, errichtete zehn Jahre lang, Linie für Linie, einen gezähmten Merzbau der Mode.

1905 als Sohn eines Großindustriellen in Granville, Normandie, geboren, wollte Christian ursprünglich Architekt werden. Seine Eltern kauften 1906 die Villa „Les Rhumbs“, wo heute das Dior-Museum untergebracht ist. Hier wuchs er mit impressionistischem Blick auf Meer und Blumengärten auf. Der Vater produzierte im großen Stil Düngemittel, sein Vetter war Handelsminister, die Cousine eine der ersten Medizinerinnen Frankreichs. Für Christian wünschte die Mutter eine politische, vielleicht diplomatische Laufbahn. Der liebte jedoch die Kunst, versprach, an der Sciences Po zu studieren, um Musik lernen zu dürfen, trieb sich als Teenager, statt zu lernen, in Paris auf Vernissagen und Partys herum, genoss, wie er in seinen Memoiren schreibt, „das Privileg, zum gleichen Moment meine wilden Jahre zu durchleben wie das Jahrhundert“.

Paris in den Zwanzigern: Surrealismus, neue Freiheiten, neue Sexualität. Georges Batailles „Geschichte des Auges“ kursiert seit 1928 als Inbegriff der Überschreitung, Antonin Artaud entwickelt sein „Theater der Grausamkeit“, bei Gertrude Stein und ihrer Lebensgefährtin Alice B. Toklas gehen nach Picasso und den Kubisten Hemingway, Pound, Fitzgerald ein und aus. Mittendrin trifft Dior mit dem Maler Christian Jacques Bérard, genannt „Bébé“, im Restaurant Bœuf sur le Toit auf Jean Cocteau und Max Jacob, wird Teil einer Clique aus Malern, Literaten, Musikern. „Ich bildete in diesem buntscheckigen Klima nicht nur meinen Geschmack, sondern knüpfte schwergewichtige Freundschaften, die wahre Basis meines Lebens“, notiert er später.

1928 eröffnet Dior mit Jacques Bonjean in der Rue La Boétie Rive Gauche eine Kunstgalerie, um „die Künstler von übermorgen zu zeigen“: Gemälde von Picasso, frühe Skulpturen des jungen Arno Breker, erotische Zeichnungen von Roger André de La Fresnaye, Skulpturen von Dalí. 1931 stirbt die Mutter, geht der Vater pleite. 1932 versucht Dior es noch einmal mit dem Kunsthandel, als Sozius der Galerie Pierre Colle in der Rue Cambacérès 29, und richtet 1933 eine wegweisende Ausstellung für die Surrealisten aus.

Die Bilder dieser Ausstellung legen in den gewimperten Ovalen von Joan Mirós „Tête humaine“ oder der verhängten Puppe von Alberto Giacomettis „Surrea- list Table“ Vorbilder für Diors Mode nahe. Tatsächlich könnten die Hüte seiner Linien H oder Y aus den 1950er-Jahren, die breit auf den eng gehaltenen Frisuren der Mannequins sitzen, von Dalís „Buste de femme rétrospectif“ stammen. Wie viele Surrealisten sah Dalí in der Schaufensterpuppe eine Projektionsfläche unterdrückten Begehrens, ideal, um eine Mischung aus Sex und Kapital in Szene zu setzen. Dalí malte der Barbusigen mit dem melancholischen Blick Ameisen auf die Stirn, sein Vanitas-Symbol. Und er setzte ihr ein Baguette auf den Kopf, sein Inbegriff des Phallischen und der Überschreitung. Darauf platzierte er eine Miniaturplastik des Gemäldes „L’Angélus“ von Jean-François Millet.

All das wird Christian Dior gewusst haben, der seit 1931 sein Geld als Zeichner von Hutmodellen für die Modebeilage des Figaro verdiente. Doch eine direkte Verbindung zwischen Dalís Baguette-Hut, Diors im Verborgenen gehaltener Homosexualität und seinen Hutlinien zu ziehen wäre Küchenpsychologie. Dior übernahm nicht das Eklige, den Verfall des Surrealismus. Er lernte von dessen Zähmung der Begierde. Kleider waren für ihn „ephemere Architektur“. Von der Kunst hat er gelernt, wie man Körper verhüllt und exponiert,Lust lockt und sublimiert.

Schnell wurde das entdeckt, 1939 gab es eine erste Umsetzung seiner Kreationen für den Couturier Robert Piguet, den „Prinzen der Mode“, für den Circus Ball in Versailles, das letzte große Luxus-Event vor dem Krieg. Man handelte ihn als neues Talent. Als er 1947 sein Unternehmen mit einem Atelier in der Avenue Montaigne Nr. 30 startete – hier kann man bis heute Dior kaufen –, lag die Mode in Frankreich am Boden. Der Krieg hatte das Praktische begünstigt und in Paris blickte man hungrig und frierend, mit Kastenschultern in knielangen Röcken voll verzweifelter Arroganz auf die Modeerfolge in den USA.

Und dann, mit einem Defilee an einem klirrend kalten 12. Februar 1947, brachte Dior den Luxus zurück. Üppige Röcke, reiche Stoffe, aus denen man fünf Kleider schneidern könnte, eine obszöne Verschwendung. Frauen, die im Alltag Dior trugen, wurden auf der Straße die Kleider zerrissen. Doch die Rückkehr zur Lust am Überfluss half gegen die bittere Wirklichkeit. Mit Dior ließ sich träumen. Besonders gut auf der anderen Seite des Atlantiks. 1948 eröffnete er die erste Boutique in New York, kein Hollywood-Film der Fünfziger ohne Dior-Linie.

Der Couturier war kein Avantgardist. Die Revolution lag hinter ihm, das Zentrum der Kunst verlagerte sich nach New York, wo die Moderne in den Drip Paintings von Pollock oder den spirituellen Farbfeldern Barnett Newmans weiterlief. In Paris hingegen arbeitete man sich weiter an Picasso ab. Mit der Mode holte Dior, Dieu und or, Gott und Gold, so Cocteaus viel zitiertes Wortspiel, das Gravitationszentrum der vergangenen Moderne an die Seine zurück und entlastete die Amerikaner so zum Teil vom Pariser Erbe.

Seinen ökonomischen Erfolg verdankte Dior geschicktem Marketing. Bereits 1947 startete er mit Miss Dior eine eigene Parfüm-Linie, vertrieb Accessoires, pflegte eine geschickte Lizenzierungspolitik. 2002 nannte die New York Times den „häuslich homosexuellen“ Modemacher, der 1957 in einem italienischen Kurbad nach Verzehr einer ganzen Foie gras einem Herzinfarkt erlag, den „Elvis der Haute Couture“. Doch das Geheimnis seiner Mode liegt nicht im Selbstverzehr und nicht im Überfluss. Es liegt in Christian Diors Beziehung zur Kunst.

Service

Abbildung ganz oben:

Christian Dior, Abendkleid „Autriche“, schwarzer Samt, Zuschlag 3600€ (Abb.: Artcurial, Paris)

Auktion

Artcurial
Paris
Auktion am 20. Juni 2017

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